Im Gespräch mit Birgit Kolkmann vom Deutschlandradio am 01. Dezember 2008 macht Edelgard Bulmahn deutlich, dass die Konjunkturpolitik der Bundesregierung richtig ist. Die Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie erteilte dabei der Senkung der Mehrwertsteuer eine klare Absage. "Steuersenkungen in der jetzigen wirtschaftlichen Lage sind der falsche Weg", sagte Bulmahn.

Birgit Kolkmann: Maßhalten, durchhalten und schön in der politischen Mitte bleiben. Mit anderen Worten: Zähne zusammen und Pobacken zusammenkneifen und hoffen, dass es nicht ganz so schlimm
kommen wird mit der Wirtschaftskrise. So denkt es sich die Kanzlerin, aber selbst in der eigenen Partei schlug ihr letzte Woche im Bundestag mit dieser Perspektive nur wenig Applaus entgegen. Ganz im
Gegenteil: Immer mehr Kritiker in der Union, aber auch in der SPD reagieren mit Skepsis auf das Konjunkturprogramm, das Kommentatoren "Progrämmchen" nennen.
Und jetzt kommt auch noch die Europäische Kommission, die mit einem 200 Milliarden Paket die Folgen der Krise mindern will, und nimmt die Bundesregierung in die Zange. Edelgard Bulmahn von der SPD ist jetzt Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Technologie. Schönen guten Morgen in der "Ortszeit", Frau Bulmahn.

Edelgard Bulmahn: Guten Morgen.

Kolkmann: Frau Bulmahn, tut denn die Bundesregierung zu wenig gegen das Umkippen der Finanzkrise
in eine Weltwirtschaftskrise?

Bulmahn: Sie tut das Richtige. Es kommt nämlich jetzt darauf an, dass man auf der einen Seite wirklich wirksame Maßnahmen ergreift, um die Binnennachfrage zu stärken, und zum anderen Maßnahmen ergreift, um die Exportfähigkeit der Unternehmen noch weiter auszubauen. Und was ebenfalls notwendig ist, dass die Maßnahmen, die wir hierzu ergriffen haben, eben auch schnell und kurzfristig Wachstumsimpulse geben und dann gleichzeitig auch noch eine nachhaltige Wirkung entwickeln. Also Sie sehen schon: Es gibt nicht nur sozusagen den einfachen Königsweg, sondern man braucht eine vernünftige Mischung von Maßnahmen - ich glaube, darauf kommt es an - und die müssen abgestimmt sein.

Kolkmann: Nun rechnen ja Experten vor, das Konjunkturprogramm, unter dem ja 32 Milliarden Euro steht, was es kosten soll, das sei zu einem großen Teil ohnehin etwas, wozu die Regierung rechtlich
verpflichtet sei, nämlich 20 Milliarden müssen ohnehin passieren. Also, es ist quasi nur noch 12 Milliarden schwer. Das sei doch ein bisschen mickrig angesichts der Krise.

Bulmahn: Erstens sind es deutlich mehr als 12 Milliarden. Wenn wir das ganze Konjunkturprogramm zusammen betrachten, dann sind es deutlich über 30 Milliarden.

Kolkmann: Aber wie gesagt: 20 Milliarden wären ohnehin Kosten, zu denen die Bundesregierung verpflichtet ist. Also man kann sagen, das gehört ja eigentlich nicht rein ins Konjunkturprogramm.

Bulmahn: Ich würde sagen, die Bundesregierung ist auf jeden Fall dazu verpflichtet, alles dafür zu tun,
dass wir die Erfolge, die wir ja in den letzten Jahren erreicht haben, wirklich deutlich mehr Arbeitslose in
Beschäftigung wieder zurückzubringen - und zwar auch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung -, nicht leichtfertig aufs Spiel setzen dürfen. Deshalb sage ich ausdrücklich, die Bundesregierung hat hier eine ganz hohe Verpflichtung, alles dafür zu tun, dass wir wirklich stabilisieren.
Wir werden praktisch nicht alles auffangen können, aber wir müssen stabilisieren. Deshalb haben wir ja auf der einen Seite zum Beispiel gerade für mittelständische Unternehmen eben den Finanzschirm
geschaffen, aber auch für große Mittelständler, damit sie tatsächlich Kredite erhalten, und ich hoffe sehr -
darauf werden wir sehr genau achten müssen -, dass diese Kredite jetzt auch fließen, auch vergeben werden.

Kolkmann: Nun hat sich Deutschland in der Tat stabilisiert, wie Sie sagen, und das sehen natürlich auch die Partner in Europa, auch die Europäische Kommission. Deutschland ist die stärkste Volkswirtschaft in der EU. Man erwartet von Deutschland jetzt allerdings auch eine ganze Menge. Da war doch offenbar die
Kommission bislang etwas enttäuscht, dass Deutschland nicht mehr mitzieht, vor allen Dingen nicht mit Steuersenkungen, zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer.

Bulmahn: Die Kommission kommt wieder zu diesem Vorschlag, den ich wirklich für grundsätzlich falsch halte. Steuersenkungen in der jetzigen wirtschaftlichen Lage sind der falsche Weg, weil sie zum einen die
öffentlichen Haushalte so ruinieren würden, dass sie ihre wirtschaftspolitischen Handlungsmöglichkeiten
verlieren, ihre Gestaltungsmöglichkeiten, und zweitens: Wer sagt mir denn, dass tatsächlich eine Reduzierung der Mehrwertsteuer an die Käuferinnen und Käufer, an die Konsumenten weitergegeben würde? Ich fürchte, das wird nicht der Fall sein.
Das heißt, wir würden hier eine Steuerreduzierung durchführen, die aber gar nicht bei den Konsumenten
ankommt. Das hilft uns nicht. Deshalb halte ich es für viel wichtiger, dass man tatsächlich die Binnennachfrage stärkt, und da will ich nur ein Beispiel nennen, über das die Kommission nicht
diskutiert: Wir erhöhen das Wohngeld, und zwar fast um das Doppelte. Das heißt, wenn sie bisher 90 Euro Wohngeld erhalten haben, dann werden sie in Zukunft zwischen 140 und 150 Euro erhalten. Das hilft gerade denjenigen, die wenig Geld im Portemonnaie haben, und darauf kommt es an.

Kolkmann: Nun sagt man ja aber auch, eine Mehrwertsteuersenkung - zum Beispiel eine befristete, wie
Großbritannien das macht - , das trifft wirklich jeden. Da hat jeder was von, wenn er das will. Sie sagen, Sie haben Bedenken, dass es auch wirklich an die Konsumenten weitergegeben wird. Wenn aber dann so ein Vorschlag kommt wie aus dem Hause von Peer Steinbrück, Konsumgutscheine von 500 Euro an alle
Sozialversicherten, alle Beschäftigten auszugeben, halten Sie das für die Superidee?

Bulmahn: Ich glaube, dass man in den nächsten Wochen wirklich genau gucken muss - und ich sage jetzt auch wirklich in den nächsten Wochen, nicht in den nächsten Monaten - , ob das, was wir jetzt
angepackt haben, auch die Wirkung zeigt, die wir uns davon versprechen. Bei unseren Maßnahmen, die wir getroffen haben, geht es ja wirklich darum, dass sie ankommen, dass sie bei den Konsumenten ankommen. Deshalb haben wir zum Beispiel dieses energetische Gebäudesanierungsprogramm so
aufgestockt.
Wenn wir sehen, es kommt nicht an, dann müssen wir auch Maßnahmen ergreifen, die wirklich kurzfristig eine deutliche Stärkung der Binnennachfrage zur Folge haben. Ich könnte mir gut vorstellen, dass man zum Beispiel auch noch einmal überlegt, kann man im Bildungsbereich nicht etwas machen, weil wir dort
einen Riesen Handlungsbedarf haben. Ich will nur ein Beispiel sagen: Das Ganztags-Schulprogramm hat
ja wirklich einen Durchbruch erreicht, aber hier sind viele Anträge damals abgelehnt worden. Das heißt, die Planungszeiten müssen nicht mehr eingehalten werden. Die Planungen liegen vor. Hier könnte man also auch kurzfristig etwas erreichen. Ich sage ausdrücklich, wir dürfen jetzt nicht
Tabuisierungen aufstellen, sondern müssen genau gucken, welche Wirkung hat das, und damit dürfen wir uns auch nicht monatelang Zeit lassen, sondern sehr gut beobachten, wirkt das. Wenn nicht, werden wir zusätzliche Maßnahmen ergreifen müssen.

Kolkmann: Danke schön, Edelgard Bulmahn von der SPD, zu den möglichen Konjunkturprogrammen,
die jetzt gefragt sind. Sie ist Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Technologie.
Danke Ihnen für das Gespräch.

Bulmahn: Gerne.