Für echte Chancengleichheit im Bildungssystem kämpfen und kein Kind zurücklassen.
„Grundstein für eine demokratische Gesellschaft ist Chancengleichheit in der Bildung, denn sie entscheidet in besonderem Maße über Teilhabe und Lebenschancen“, so formulierte Edelgard Bulmahn ihr Bildungsverständnis anlässlich einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) Niedersachsen am 02. November 2009 in Hannover.
Unter dem Titel „Chancengleichheit? – Die deutschen Schulen in der internationalen Diskussion“ lud das FES-Landesbüro Niedersachsen gemeinsam mit dem Institut für Sonderpädagogik der Leibniz Universität Hannover rund 200 Experten und Interessierte ein. Ziel war es, aus politischer, praktischer und wissenschaftlicher Sicht zu diskutieren, welche Schlüsse aus dem internationalen Vergleich für das deutsche Bildungssystem gezogen werden können.
Bevor die wissenschaftlichen Fragestellungen des Themas aufgegriffen wurden, war die ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung und Hannoveraner Bundestagsabgeordnete Edelgard Bulmahn eingeladen, die politische Perspektive zu beleuchten. Sie machte deutlich, dass es in Deutschland einen unerträglichen Widerspruch zwischen der rhetorischen Beschreibung der Bedeutung von Bildung und den tatsächlichen finanziellen Prioritätensetzungen gibt. Während im internationalen Vergleich der OECD-Staaten der Anteil der privaten und öffentlichen Bildungsausgaben auf Seiten der Skandinavischen Länder bei etwa 7% liegt, beträgt dieser Anteil in Deutschland nicht einmal 5%. Um bei den Bildungsausgaben zu den in Europa so erfolgreichen skandinavischen Ländern aufschließen zu können, müssen in Deutschland jährlich ca. 17 Milliarden Euro zusätzlich im Bildungsbereich investiert werden.
Aus Sicht von Bulmahn werden in keinem anderen vergleichbaren Industriestaat die Fähigkeiten und damit Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen so verschenkt wie in Deutschland. Vor allem die soziale Herkunft entscheidet über den Schulerfolg und die Bildungschancen. Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus Arbeiterfamilien haben noch immer erheblich geringere Bildungschancen als Akademikerkinder. Diese Tatsachen werden nicht zuletzt durch die PISA-Studien oder die OECD-Berichte „Bildung auf einen Blick“ immer wieder bestätigt.
Eine erste Antwort auf die internationale PISA-Vergleichsstudie im Jahr 2000 war vor allem das Ganztagesschulprogramm, das größte Schulentwicklungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik. „Mir ging es nicht nur um mehr Zeit für Bildung, sondern um eine neue Schule. Im Mittelpunkt sollte die individuelle Förderung stehen und auch benachteiligte Kinder sollten eine echte Chance haben.“, so Edelgard Bulmahn, die dass Programm als Bundesministerin initiierte. Der Anteil der Ganztagsschulen ist seit dem Start des Programms im Jahr 2003 auf rund ein Drittel gestiegen.
Mit Blick auf die aktuelle Koalitionsvereinbarung der schwarz-gelben Bundesregierung sagte Bulmahn: „Union und FDP geben keine Antworten auf die großen Herausforderungen unseres Bildungssystems. Sie bleiben sozial blind und betreiben Klientelpolitik“. Die Gewährleistung gleicher und guter Bildungschancen muss eine öffentliche Aufgabe bleiben, für die der Staat Verantwortung trägt. Diesem Anspruch werden weder das Bildungssparen noch das Stipendienprogramm gerecht, die beide im Koalitionsvertrag verankert sind. Diese Programme treiben vielmehr die Privatisierung der Bildungsfinanzierung voran und verstärken die soziale Spaltung im Bildungssystem.