Außenpolitik hat heute viele Dimensionen
Die Bundesregierung hat das Parlament heute über ihr neues Konzept "Globalisierung gestalten - Partnerschaften ausbauen - Verantwortung teilen" unterrichtet. In der Debatte hat die hannoversche Bundestagsabgeordnete Edelgard Bulmahn deutlich gemacht, dass Außenpolitik heute mehr ist als Diplomatie und viele Dimensionen hat. Diese Vielfältigkeit berücksichtig das neue außenpolitische Konzept der schwarz-gelben Bundesregierung jedoch nicht.
Der Text der Rede im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Bei der Vorstellung des Konzepts der Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit den sogenannten neuen Gestaltungsmächten haben Sie, Herr Bundesaußenminister, immer wieder betont, dass die neuen globalen Fragen nur im Zusammenspiel mit mehr und neuen Partnern zu beantworten sind. Das ist richtig; keine Frage. Dass die Welt aber multipolar und nicht mehr bipolar ist, ist keine neue Erkenntnis. Diese Entwicklung gibt es seit 20 Jahren. Die Frage, die sich daraus ableitet, ist: Was bedeutet es für die deutsche Außenpolitik,dass wir heute in einer multipolaren Welt leben? Auf diese Frage, Herr Außenminister, geben Sie keine Antwort. Eine strategische Orientierung der deutschen Außenpolitik bietet dieses Papier gerade nicht.
Welche außenpolitischen Ziele verfolgt die Bundesregierung? Welche Interessen hat sie? Welche Leitlinien für außenpolitisches Handeln formulieren Sie? Welche Strategie leiten Sie daraus ab? Wo setzen Sie Schwerpunkte? Das sind Fragen, auf die ich in diesem Papier eine Antwort erwartet hätte. Herr Ruck, wenn Sie sagen, dass das, was hier vorgelegt wurde, ein Gerüst sei, dann finde ich das nach zwei Jahren zu wenig. Zwei Jahre hatte diese Bundesregierung Zeit, ein außenpolitisches Konzept vorzulegen. Das wäre gut gewesen; denn dann hätten wir über die Inhalte, Zielsetzungen, Strategien, Schwerpunkte miteinander diskutieren können. Das ist auch notwendig. Aber über ein Gerüst kann man nicht diskutieren.
In dem Konzept wird angerissen, dass - auch dem stimme ich ausdrücklich zu - Außenpolitik heute mehr ist, als es die traditionelle Außenpolitik war, mehr als Diplomatie. Heute spielen Klimaschutz, der verantwortliche Umgang mit natürlichen Ressourcen, die weltweite Sicherung der Nahrungsmittelversorgung, die Globalisierung der Wirtschaft, die Verletzung von Menschenrechten oder auch die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus eine wichtige Rolle. All das sind Herausforderungen, die sich der klassischen Machtpolitik und damit den traditionellen Formen der Außenpolitik entziehen. Dem werden wir wohl alle zustimmen. Aber wenn man feststellt, dass diese Beschreibung richtig ist, dass Außenpolitik heute viele Dimensionen hat, dass sie eine Querschnittsaufgabe geworden ist und dass sich mit ihr heute immer auch Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik, der Menschenrechte, der Umwelt- und Klimaschutzpolitik, der Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft und Forschung, der Wirtschaftspolitik und vieler anderer Felder verbinden, dann bedeutet das eben auch, dass man Außenpolitik so konzipieren muss, dass die Verbindung dieser Dimensionen klar benannt und verstanden wird.
Das bedeutet dann auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu respektieren, dass sich in dieser neuen multipolaren Welt neue regionale Strukturen entwickeln, die sich in den klassischen Formaten der internationalen Zusammenarbeit bisher nicht ausreichend abbilden. Auch diese Wahrnehmung habe ich in dem Konzept der Bundesregierung vermisst. Ich hatte gehofft, dass wir in der Rede des Bundesaußenministers hierzu etwas Genaueres erfahren, welche konkreten Auswirkungen diese Entwicklungen auf die deutsche Außenpolitik haben. Aber auch hierzu habe ich nicht viel Neues gehört. Was bedeutet zum Beispiel diese Herausbildung neuer regionaler Strukturen in Asien, Afrika und Südamerika für die deutsche Politik?
Herr Außenminister Westerwelle, Sie haben zwar angesprochen, dass diese neuen regionalen Strukturen existieren, aber welche Schlussfolgerungen ziehen Sie denn daraus? Welche Konsequenzen hat das für die weitere Entwicklung der VN? Wie soll ein neuer Sicherheitsrat aussehen? Wie soll er zusammengesetzt sein? Das sind doch Fragen, auf die wir Antworten geben müssen. Dazu müssen wir Vorschläge machen, über die wir dann natürlich auch mit unseren Partnern verhandeln müssen. Eigene Vorstellungen muss man aber schon haben, erst dann kann man sie miteinander erörtern.
Welche Rolle sollen zukünftig regionale Sicherheits- und Wirtschaftsbündnisse in der deutschen Außenpolitik haben? Ich nenne zum Beispiel die Afrikanische Union, die Arabische Liga und ASEAN. All diese neuen regionalen Strukturen spielen inzwischen in der internationalen Politik eine wichtige Rolle, und zwar in vielen Dimensionen. Wie spiegelt sich das in der deutschen Außenpolitik wider? Welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus? Was bedeutet das - das wurde von einigen angesprochen - zum Beispiel für die Armutsbekämpfung? Wenn wir konkrete politische Zielsetzungen in der Armutsbekämpfung oder in der Klimapolitik verfolgen, mit welchen Strategien geht das dann einher? Welche Rolle spielen dabei die regionalen Strukturen?
Das alles wird in diesem Konzept nicht angesprochen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss ich leider einfach feststellen, dass das Papier, über das wir hier diskutieren, eben kein strategisches Konzept ist. Es ist nur eine Aneinanderreihung von Handlungsfeldern. Genau das löst auch die Kritik aus. Eine positiv verstandene, konkrete Beschreibung deutscher Interessen und Zielsetzungen findet nicht statt. Genauso wenig gibt es eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln. Man gewinnt den Eindruck, dass sehr viel Zeit darauf verwendet worden ist, die bisherige schwarz-gelbe Außenpolitik in ein positives Licht zu rücken - auch das ist Ihnen jedoch nicht so richtig gelungen -, während die Herausforderung, tatsächlich eine Strategie zu beschreiben, nicht aufgegriffen worden ist.
Ich will einen letzten Aspekt nennen. Sie haben in Ihrem Konzept die Zusammenarbeit mit neuen Gestaltungsmächten im Bereich der Krisenprävention, der Konfliktlösung und der Friedenskonsolidierung vorallem in deren Rolle als Truppensteller für Friedensmissionen der Vereinten Nationen gesehen. Dazu sage ich: Deren Rolle darauf zu beschränken, ist wirklich fahrlässig und bei weitem nicht ausreichend. Bangladesch und Jordanien stellen derzeit jeweils mehr als 2 000 Polizeikräfte für UN-Missionen zur Verfügung, Deutschland gerade einmal 18. Das heißt, dass Deutschland noch nicht einmal bei dem, was Sie als Aufgabe beschreiben, annähernd seiner Verantwortung gerecht wird. Das, Herr Außenminister, ist eben keine Grundlage für eine zukunftsfähige Außenpolitik im 21. Jahrhundert.
Es erstaunt mich schon, dass die Bundesregierung in ihrem Konzept zu diesem wichtigen Themenfeld nicht mehr sagt. Nur zu behaupten, dass zivile Krisen- und Konfliktprävention ein Schwerpunkt der Außenpolitik sein soll, reicht nicht. Die konkreten Vorschläge - das muss ich leider einfach einmal feststellen - kommen nicht von der Regierung, sie kommen aus dem zuständigen Unterausschuss im Deutschen Bundestag, und zwar fraktionsübergreifend. Ich finde das auch gut. Von der Bundesregierung ist da leider nichts gekommen. Da finde ich nur eine leere Stelle.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist notwendig und wichtig, dass wir uns mit der außenpolitischen Strategie Deutschlands in einer multipolaren Welt auseinandersetzen. Aber am Ende der heutigen Debatte möchte ich sagen: Das sollten wir im Parlament tun. Hoffentlich hört die Bundesregierung dann auch auf das Parlament.
Vielen Dank.