WohnArt: Frau Bulmahn, im September wurden Sie erneut in den Bundestag gewählt. Wie haben Sie die ersten 150 Tage der neuen Legislaturperiode erlebt?

Edelgard Bulmahn: Trotz der schwierigen Gesamtsituation ist es mir gelungen, meinen Wahlkreis im Süden Hannovers zum siebten mal seit 1987 direkt zu gewinnen. Dieses Ergebnis ist für mich eine Verpflichtung, mich auch in den kommenden vier Jahren aus vollem Herzen für die Menschen in Hannover einzusetzen. Für die SPD kam es in den letzten Monaten darauf an, sich personell und strategisch zu erneuern, um so das verlorengegangene Vertrauen bei den Menschen zurückzugewinnen. Ich bin der Meinung, dass uns dies gelungen ist. Wir können klare Alternativen zur schwarz-gelben Regierungspolitik in Berlin aufzeigen, in der Steuerpolitik, bei der Organisation der Arbeitsvermittlung oder in der Familien- und Bildungspolitik. Nicht zuletzt bei der Entscheidung über das deutsche Engagement in Afghanistan haben wir bewiesen, dass wir keine populistische schwarz-weiß Politik betreiben, sondern die Verantwortung für unser Land sehr ernst nehmen.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich in den vergangenen Monaten nicht mit Ruhm bekleckert, sondern bei vielen wichtigen Fragen gezögert und sich vertagt. Für eine völlig falsche Entscheidung halte ich z.B. die abrupte Kürzung der Förderung der Solaranlagen. Das werden Handwerker und Häuslebauer sehr schmerzlich spüren.

WohnArt: Wo sehen Sie Ihre Arbeitsschwerpunkte in Ihrem Wahlkreis Hannover-Süd?

Edelgard Bulmahn: Besorgniserregend ist für mich vor allem die Situation der kommunalen Finanzen. Mit ihrer Steuersenkungspolitik gefährdet die Koalition vielmehr die Handlungsfähigkeit unserer Kommunen und verliert die Interessen der Mehrheit der Menschen in unserem Land aus dem Blick. Das ist verantwortungslos und wird auch durch markige Reden eines Außenministers nicht besser. Entlastungen von 24 Milliarden Euro bis 2013 stehen einer Neuverschuldung im gleichen Zeitraum von 455 Milliarden Euro gegenüber. Die Rechnung dieses völlig verantwortungslosen Handelns werden vor allem die Kommunen zu tragen haben. In den Kassen Hannovers werden durch diese Politik im Jahr 2010 mehr als 7 Mio. Euro und bis 2013 insgesamt fast 50 Mio. Euro fehlen. Mittel die zwingend benötigt werden um Schulen zu sanieren oder die vielfältigen kulturellen Angebote aufrechtzuerhalten. Wir brauchen deshalb wieder eine Politik von Bund und Ländern, die den Städten und Gemeinde ihre politischen Gestaltungsspielräume wieder zurück gibt.
Auch der dringend notwendige Ausbau der Kinderbetreuung für unter 3-jährige ist massiv bedroht. Ab 2013 haben Eltern von ein- und zweijährigen Kindern einen Rechtsanspruch auf den Betreuungsplatz. Für Hannover bedeutet dies 1.500 zusätzliche Krippenplätze, Investitionskosten in zweistelliger Millionenhöhe und zusätzliche Betriebskosten von jährlich rund 7 Mio. Euro. Noch in der Großen Koalition wurde verabredet, dass sich der Bund sowohl an den Investitionskosten wie auch den Betriebskosten beteiligt. An diese Verabredung muss sich auch die aktuelle Bundesregierung gebunden fühlen. Ob die vereinbarten Summen in der schwierigen finanziellen Situation aber ausreichend sind, ist mehr als zweifelhaft. Es fehlt jedes Konzept der Bundesregierung, wie der Ausbau abzusichern ist. Im Gegenteil, mit dem geplanten „Betreuungsgeld“ für Familien, die ihre Kinder zu Hause lassen, werden nicht nur die bildungs- und integrationspolitischen Ziele des Ausbaus konterkariert. Auch die dafür eingeplanten Mittel von schätzungsweise 1,4 bis 1,9 Milliarden Euro fehlen für die Kitas.
Auch von den aktuellen Verhandlungen zur Reform der Jobcenter ist Hannover direkt betroffen. Dabei geht es auf der einen Seite um eine neue Organisationsform und damit um konkrete Zuständigkeiten, es geht aber vor allem um die Qualität der Arbeitsvermittlung. Ohne ausreichend Personal und Mittel für aktive Arbeitsmaßnahmen kann die Reform der JobCenter deshalb nicht erfolgreich sein. Dennoch haben die Koalitionsfraktionen 900 Millionen Euro bei den Mitteln für die Arbeitsmarktpolitik sperren lassen. Es ist zynisch Menschen zu unterstellen, sie wollten nicht arbeiten und gleichzeitig die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik zu sperren.
Und natürlich ist Hannover davon betroffen, dass diese Bundesregierung den Klimaschutz auf´s Abstellgleis schiebt.

WohnArt: Welche Akzente wollen Sie in Berlin setzen?

Edelgard Bulmahn: Unser Land hat in den vergangenen zwei Jahren schwierige Zeit durchgemacht. Die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise hat gezeigt, dass wir klare Regeln für die internationalen Finanzmärkte dringend benötigen, sonst werden Realwirtschaft wie auch Staaten gefährdet. Ich will mit meiner politischen Arbeit dazu beitragen, Wachstum und ökologische Nachhaltigkeit zu verbinden. Und natürlich liegt mir die Verbesserung unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems auch weiterhin am Herzen. Als Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages und als Sprecherin der Arbeitsgruppe Weltwirtschaft meiner Fraktion beschäftige ich mich mit Fragen der Außenwirtschaftspolitik aber z.B. auch mit den internationalen Verträgen und Regeln für eine erfolgreiche wirtschaftliche Erholung.
Die Mitarbeit in der Arbeitsgruppe Energie bildet einen weiteren Schwerpunkt meiner Arbeit. In Hannover und auch in der Region haben sich in den vergangenen Jahren eine Vielzahl kleinerer und mittlerer Betriebe im Bereich der Erneuerbaren Energien etabliert und Arbeitsplätze geschaffen. Die rot-grüne Bundesregierung hat dafür mit dem Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG) die Grundlage gelegt und den Vorrang für Strom aus Erneuerbaren Energien festgeschrieben. Mich erreichen derzeit viele Briefe und E-Mails besorgter Handwerksbetriebe aus meinem Wahlkreis, die ihre Geschäftsgrundlage durch die undurchdachten Kürzungspläne der Bundesregierung in Gefahr sehen. Eine massive Absenkung, vor allem der Solarförderung ist falsch. Sie wird dafür sorgen, dass viele Hausbesitzer nicht mehr bereit sind in Erneuerbare Energien zu investieren. Hier brauchen wir durchdachte Lösungen, die vor allem wissenschaftlich fundiert sind und Hausbesitzern wie Herstellern und Handwerkern Planungssicherheit geben.

WohnArt: Stichwort Wohnungspolitik: Wie bewerten Sie die Pläne der schwarz-gelben Regierung zu den Themen Kündigungsfristen, Mietnomaden und EnEV?

Edelgard Bulmahn: Ich erkenne im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung keine klaren wohnungspolitischen Linien. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass die Ausgewogenheit des bestehenden Mietrechtes in Frage gestellt werden soll. Die meisten Menschen in Deutschland wohnen zur Miete. Mietsicherheit und eine langfristige Stabilität der Mietverhältnisse sind deshalb sowohl für Mieter als auch für Vermieter besonders wichtig. Mit der 2001 von rot-grün verabschiedeten Mietrechtsreform haben wir, unter anderem durch die Anpassung von Kündigungsfristen, die Grundlage gelegt für einen besseren rechtlichen Schutz und soziale Sicherheit. Die jetzt erneut diskutierten Veränderungen der Kündigungsfristen sollen aus meiner Sicht ausschließlich auf dem Rücken der Mieter ausgetragen werden. Es geht nicht um eine Angleichung der Fristen, sondern vielmehr um die Schaffung kürzerer Kündigungsfristen ausschließlich für die Vermieter.
Zu den Mietnomaden: Sie können für die betroffenen Vermieter zwar zu einem wirklichen Problem werden, sind offen gesagt letztlich jedoch eine seltene Erscheinung. 38 Millionen Mietwohnungen stehen 0,02% Mietnomaden gegenüber. Bei den Instrumenten die wir hier diskutieren, müssen wir deshalb darauf achten, dass sie zielgenau wirken und nicht zu massiven Verschlechterungen für alle Mieter führen.
Wichtig ist es aus meiner Sicht, auch im Wohnungsbereich mehr für den Klimaschutz zu tun. Rund ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs entfällt auf die Beheizung von Gebäuden und die Bereitstellung von Warmwasser. In der energetischen Sanierung von bestehendem Wohnraum liegt somit eine große Chance. Mit der Anpassung der Energieeinsparverordnung (EnEV), haben wir noch in der Großen Koalition eine Anhebung der Effizienzstandards an den Stand der Technik in zwei Schritten, nämlich 2009 und 2012, vorgesehen. Ziel war es, gerade auch der Wohnungswirtschaft eine zusätzliche Frist zur Anpassung zu verschaffen. Die SPD hat sich immer dafür stark gemacht, die Wohnungseigentümer in ihren Anstrengungen zu unterstützen. So ist das CO²-Gebäudesanierungsprogramm von 2009 bis 2011 auf unsere Initiative hin, um insgesamt drei Milliarden Euro aufgestockt worden.