Sushi: Frau Bulmahn, wie sind sie zur Politik gekommen?

Edelgard Bulmahn: In dem ich mit 18 Jahren in die SPD eingetreten bin. Ich war schon sehr früh politisch interessiert, habe mich in der Schülerselbstverwaltung engagiert und war Schülersprecherin. Doch der entscheidende Grund, warum ich in die SPD eingetreten bin, liegt in der persönlichen Erfahrung, dass politische Entwicklungen und Entscheidungen unser Leben stark beeinflussen. Der zweite Grund lag in dem Wunsch, die Welt zu verbessern. Ich wollte mehr soziale Gerechtigkeit schaffen, wollte eine Politik umsetzen, die auch unsere Umwelt erhält, die die Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und ich wollte eine Politik, die Krieg verhindert und versucht Konflikte friedlich zu lösen.

SUSHI: Kann man sagen, dass es der Zeitgeist war, der sie dazu bewogen hat?

Edelgard Bulmahn: Nicht der Zeitgeist, sondern meine persönlichen Erfahrungen. Ich bin in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, und in einem kleinem Dorf noch dazu und habe daher sehr früh schon erlebt, dass Chancen von Menschen sehr ungleich verteilt sind, dass Mädchen und Frauen benachteiligt waren und dass die Friedens- und Entspannungspolitiker der SPD als „Vaterlandsverräter“ diskreditiert wurden und das wollte ich verändern. Und ich habe natürlich auch, und das war der Zeitgeist, erlebt, dass sich damals zu wenig Menschen um ihre Umwelt gekümmert haben. Ich bin an der Weser aufgewachsen, wo man damals hautnah erleben konnte, wie die Wasserverschmutzung massiv zunimmt. Ich habe oft in der Weser gebadet als ich noch jünger war, aber als Jugendliche war das nicht mehr möglich. Das ist eine andere Erfahrung als wenn man Umweltzerstörung nur über Bücher und Zeitungsartikel kennen lernt.

SUSHI: Was waren ihre weiteren Interessen in der Jugend, abseits der Politik?

Edelgard Bulmahn: Ich bin ein Musikfan, und habe wann immer es ging Konzerte besucht, dass mache ich im Übrigen heute immer noch. Besonders Rockmusik hörte ich damals gerne. Des Weiteren habe ich mich in einem Jugendtreff, der von der evangelischen Kirche betrieben wurde, engagiert. Freizeitangebote, Bildung und Politik standen dort auf der Agenda. Mit meiner politischen Arbeit und mit der Schule hatte ich dann genug zu tun.

SUSHI: Welchen Rat geben sie Jungendlichen, die sich politisch engagieren und sogar Politiker werden wollen?

Edelgard Bulmahn: Ich würde jungen Leuten raten, sich für eine politische Partei zu entscheiden. Eine lebendige Demokratie braucht Menschen, die sich einmischen! Die SPD z.B. bietet Jungendlichen die Möglichkeit, zunächst einmal zu den „Jusos“ zu gehen. Sie können dort einfach mal hinein schnuppern, einmal sehen, wer dort ist, welche Themen diskutiert werden und wie politische Willensbildung geschieht. Wir bieten im Übrigen auch die Mitarbeit in thematischen Arbeitskreisen an, wie zum Beispiel zur Bildungspolitik oder zur Energie- und Klimapolitik. Setzt euch ein, dann kann man etwas verändern. Politik zum Beruf zu machen, sollte man m.E. erst dann, wenn man bereits in einem anderen Beruf Erfahrungen gesammelt hat.

SUSHI: Sie sitzen im Bundestag und sind Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Was genau sind ihre Aufgaben dort?

Edelgard Bulmahn: Im Auswärtigen Ausschuss behandeln wir alle Fragen der Außenpolitik. Internationale Kontakte pflegen, Gesetze zu erarbeiten, Anträge zu entwickeln z.B. für Abrüstung oder für die Afghanistanpolitik der Bundesrepublik das ist die Aufgabe der Abgeordneten im Auswärtigen Ausschuss.
In den letzten Wochen haben wir uns sehr stark mit der Situation in Afghanistan beschäftigt. Die SPD hat dazu eigene Vorschläge entwickelt – auch das gehört zu meinen Aufgaben. Die Bundesregierung hat übrigens einige unserer Vorschläge aufgegriffen. Wir sind der Meinung, dass man anstatt die Truppen zu erhöhen, mehr Polizeikräfte ausbilden und die zivilen Aufbaumaßnahmen noch weiter verstärken sollte. Unser Ziel ist es, mit dem Truppenabzug 2011 zu beginnen und die Verantwortung für die Sicherheit an die Afghanen selbst Schritt für Schritt zu übergeben – bis 2013 bzw. 2015.

SUSHI: Was halten sie von der aktuellen Schwarz-gelben Bundesregierung und ihren bisherigen Erfolgen und Misserfolgen?

Edelgard Bulmahn: Erfolge kann ich bisher überhaupt nicht sehen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten keine guten Entscheidungen getroffen. Z.B. die massive Kürzung der Unterstützung für die regenerativen Energien oder die geplante Kopfpauschale oder die Kürzung der Arbeitslosenhilfe um den Erhöhungsbetrag des Kindergeldes. Ich halte es für falsch, die Mehrwertsteuer für Übernachtungen zu senken, oder die Erbschaftssteuer zu verringern und sich gleichzeitig in nie gekannter Höhe – alleine in 2010 um 145 Mrd. Euro - neu zu verschulden. Wir brauchen dringend mehr Steuereinnahmen um beispielsweise unser Bildungssystem zu verbessern sowie Kinderkrippen und Kindergärten auszubauen. Alleine dafür sind pro Jahr 20 Mrd. Euro notwendig. Wir brauchen Finanzmittel um eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu finanzieren, oder um Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben über Steuerfinanzierungen eine Ausbildungsmöglichkeit zu eröffnen. Dafür brauchen wir Steuereinnahmen und daher halte ich die Steuersenkungen in dieser Zeit für falsch.

SUSHI: Was halten sie vom umstrittenen „Turbo-Abi“

Edelgard Bulmahn: Ich halte von einem Turbo Abitur nichts, weil die Vorrausetzungen einfach nicht stimmen. Ich habe als Bundesministerin 2003/04 ein Ganztagsschulprogramm angeschoben, weil ich wollte, und immer noch will, dass alle Kinder und Jugendliche wirklich gute Bildungschancen erhalten. Das Turbo Abitur einzuführen, ohne dass wir kleinere Klassen haben, ohne dass Ganztagsschulen Standard sind und ohne dass wir vorher eine Verbesserung des Bildungssystems erreicht haben, halte ich für falsch. Diese Entscheidung ist falsch, da sie auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler, teilweise auch auf dem Rücken der Lehrerinnen und Lehrer, ausgetragen wird.
Die Einführung des „Turbo-Abis“ löst keines unserer Probleme im Bildungssystem.
Die wahren Probleme liegen zum einen darin, dass wir eine zu hohe soziale Selektion in unserem Bildungssystem haben. Das zweite Problem ist, dass wir seit Jahren zu wenig Lehrerinnen und Lehrer haben und das daher die individuelle Förderung von Schülerinnen und Schüler zu kurz kommt. Und das dritte Problem liegt darin, dass gerade Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien und sozial benachteiligten Familien nicht genügend unterstützt werden. Länder wie Kanada oder Schweden sind hier deutlich besser. . Das sind die Hauptprobleme, die man anpacken muss. Als Bundesministerin hätte ich damals gerne mehr Lehrerinnen und Lehrer angestellt. Dazu hatte ich aber leider nach unserer Verfassung (Föderalismus) kein Recht.

SUSHI: Sie sprachen von einem Lehrermangel, von denen die sich pädagogisch um die Kinder kümmern. Fehlt es da am Geld, oder an Leuten die es machen wollen?

Edelgard Bulmahn: Es fehlt vor allem an Geld, aber das ist ein Ergebnis politischer Entscheidungen. Die Landesregierung gibt zu wenig Geld für Lehrerstellen aus. Im letzten Jahr haben sich in Niedersachsen fast doppelt so viele LehrerInnen in spe beworben als angestellt wurden. Die Menschen sind da, aber es gibt zu wenig Stellen und es wird zu wenig investiert. Und das muss sich ändern, dringend. Bundesweit müssten wir pro Jahr ca. 20 Milliarden Euro in Bildung investieren. Die Kanzlerin beschwört ja die Bildungsrepublik, aber Sonntagsreden lösen keine Probleme.