Auf Einladung von Ernst-Dieter Rossmann,MdB besuchte Edelgard Bulmahn am 04.August 2009 dessen Wahlkreis Pinneberg in Schleswig-Holstein. Dabei führte sie auch ein Gespräch mit Peter Schweinberger und Thomas Klink vom Pinneberger Tageblatt:

Frage: Frau Bulmahn, am 21. Juli ist der Grundstein für das XFEL-Projekt von Desy gelegt worden. Das haben Sie mit auf den Weg gebracht. Bei der Feierstunde waren Sie nicht mehr dabei. Die Früchte Ihrer Arbeit konnten Sie nicht mehr ernten.

Edelgard Bulmahn: Auch wenn ich bei der Grundsteinlegung nicht dabei war: Dass der Laser zwischen Hamburg und Schenefeld gebaut wird, ist auch mein Erfolg. Aber darauf kommt es nicht an. Für mich als Forschungsministerin war es viel wichtiger, die richtigen Ideen und Konzepte zu haben - und das Rückgrat, diese auch umzusetzen.

Frage: Mit einem Investitions-Volumen von etwa einer Milliarde Euro ist der XFEL eines der größten Forschungs-Projekte in Europa. Wie wichtig sind solche Vorhaben für Deutschland?

Edelgard Bulmahn: Solche Projekte sind enorm wichtig für Deutschland. Bei Desy geht es ja nicht nur um Grundlagenforschung im biologischen und physikalischen Bereich. Solche Geräte sind immer auch Kristallisationspunkte für exzellente Wissenschaftler aus aller Welt. Und solche Projekte sind auch wichtig für junge Nachwuchswissenschaftler, damit Deutschland für diese als Standort attraktiv bleibt.

Frage: Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung würden Sie sagen, dass Ihre damalige Entscheidung rückblickend richtig war?

Edelgard Bulmahn: Auf jeden Fall. Bei solchen wichtigen und leistungsstarken Forschungseinrichtungen wie Desy muss man immer auch im Blick haben, welchen Weg das Institut für die Zukunft einschlägt. Wenn der Wissenschaftsrat, Desy und ich damals entschieden hätten, das Projekt nicht in Angriff zu nehmen, hätte die Gefahr bestanden, dass das Forschungszentrum an Reputation verliert. Das wollte ich nicht.
Eine starke und leistungsfähige Forschung sichert die Zukunft des Landes und Arbeitsplätze. Sie schafft auch neue. Gerade in der Krise sind Investitionen in Wissenschaft und Forschung sowie Bildung enorm wichtig. Deshalb hat die SPD in Zusammenhang mit dem Konjunkturprogramm auch durchgesetzt, dass das Geld vorrangig Schulen zugute kommt.

Frage: Sie sehen also insbesondere in der Krise eine Chance für Bildung und Weiterbildung?

Edelgard Bulmahn: Ich sehe in der Krise die Chance, dass jeder begreift: Unser wichtigster Schatz in Deutschland sind die Menschen, und damit Bildung und Fortbildung. Deshalb ist es wichtig, dass unser Bundesarbeitsminister Olaf Scholz Kurzarbeit mit Weiterbildung verknüpft hat. Glücklicherweise nutzen Unternehmen diese Möglichkeit - wenn auch zu wenige.
Wir haben auch gesagt, dass Deutschland ein Forschungsprogramm für kleine und mittelständische Unternehmen benötigt. Und wir gehen noch einen Schritt weiter: Der Bund stellt 500 Millionen Euro für die Entwicklung von Elektromobilen zur Verfügung, damit unser Land die Zukunft nicht verpasst. Unsere Automobil-Industrie muss in die Lage versetzt werden, auch in zehn oder 20 Jahren weltweit die Nummer eins zu sein.

Frage: Die Förderung schadstoffarmer Automobile ist auch Teil des Deutschland-Plans, den der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier jüngst vorgestellt hat. Bislang, so hat es den Anschein, haben die deutschen Autobauer die Entwicklung verpasst. Denkt man an Hybrid-Autos, fällt einem nicht VW oder Mercedes ein, sondern Toyota. Sind die Deutschen ohne Förderprogramme nicht in der Lage, zukunftsfähige Autos zu entwickeln?

Edelgard Bulmahn: Eines der ersten Hybrid-Fahrzeug war übrigens ein deutsches Auto - ein VW.

Frage: Das mag sein. Aber was nützt das, wenn andere es auf den Markt bringen?

Edelgard Bulmahn: Das ist richtig. Der VW wurde in den 1990er Jahren entwickelt und dann wieder vom Markt genommen. Es gab auch einen Flottenversuch mit Elektro-Autos. Es gab allerdings ein Problem: Bei der Entwicklung des Elektro-Antriebs waren wir damals schon sehr weit - weiter als heute. Allerdings war die Erforschung regenerativer Energien nicht so fortgeschritten wie derzeit. Hier sind wir heute Weltmarktführer. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, einen zweiten Anlauf zu starten bei der Entwicklung schadstoffarmer Antriebstechnologien. Und ich bin mir sicher, dass die deutschen Autobauer den Sprung in die Zukunft schaffen. Manchmal sind staatliche Forschungs-Förderungen notwendig, damit Unternehmen eingetretene Entwicklungspfade verlassen.
Die Entwicklung der Windenergier und der Photovoltaik sind gelungene Beispiele für das Zusammenspiel konsequenter Wirtschaftsförderung, einem guten Markteinführungsprogramm und rechtlichen Rahmenbedingungen. So hat die SPD in der Koalition mit Bündnis 90/Die Grünen zum einen das 100 000-Dächer-Programm aufgelegt. Zum anderen haben wir das Energie-Einspeisungs-Gesetz, das EEG, verabschiedet , mit dem die Abnahme des erzeugten Stroms gesichert wurde.

Frage: Der Steinmeier-Plan sieht vor, den Anteil regenerativer Energien an der Stromversorgung bis zum Jahr 2030 auf 50 Prozent zu steigern. Als Schleswig-Holsteiner denkt man schnell an Windkrafträder zur alternativen Stromgewinnung. Aber wieviel Rotoren kann ein Land verkraften, zumal die Aufstellung auch nicht immer konfliktfrei ist?

Edelgard Bulmahn: Der Platz an der Küste ist selbstverständlich nicht unbegrenzt. Deshalb müssen wir mit dem Bau von Offshore-Windparks jetzt den zweiten Schritt machen. Ein Teil der Konflikte ist damit behoben, dass der Trend weg von Einzelanlagen und hin zu Windparks geht. Zudem besteht mittlerweile die Möglichkeit, auch 110-Volt-Leitungen unterirdisch zu verlegen. Im Übrigen profitiert Schleswig-Holstein von den Anlagen: Neue Arbeitsplätze sind entstanden, und die Städte sowie Gemeinden freuen sich über Steuereinnahmen.
Windenergie ist ein wichtiger Wachstumsbereich. Auch in der Photovoltaik ist Deutschland heute Exportweltmeister. Das hat sich darin niedergeschlagen, dass das Projekt, Sonnenkollektoren in der Wüste aufzustellen, von deutschen Unternehmen geführt wird. Deutschland soll der Ausrüster der Welt für energie- und ressourcensparende Produkte sein - in allen Branchen.

Frage: Sie wurden uns von Ihren Mitarbeitern als "Mutter der Ganztagsschulen" angekündigt. Wie hat sich Ihr "Kind" nach Ihrem Ausscheiden aus dem Amt entwickelt?

Edelgard Bulmahn: Das Kind hat sich gut entwickelt. Weil wir es geschafft haben, den Anteil der Ganztagsschulen in Deutschland von etwa fünf Prozent auf fast ein Drittel zu erhöhen. Das ist ein großer Erfolg. Bei dem Ganztagsschulprogramm ging es mir nicht nur darum, die Schulzeit zu verlängern. Vielmehr sollte eine neue Schule geschaffen werden, in der Kinder individuell gefördert werden. Wo auch Raum ist, die Schüler beim Ausbau ihrer musischen und praktischen Fertigkeiten zu unterstützen. Das geht nicht in einer Halbtagsschule.

Frage: Individuelle Förderung klingt gut. Abitur nach acht Jahren, Bachelor- und Masterstudiengänge lassen aber dafür kaum Raum. Vielmehr geht es doch darum, dass der Nachwuchs der Wirtschaft möglichst früh zur Verfügung steht.

Edelgard Bulmahn: Geschwindigkeit in der Bildung steht für mich nicht an der ersten Stelle. Es ist falsch, allein das Abitur nach acht Jahren als Erfolg zu feiern. Das ist Unsinn. Ein Erfolg ist es nur dann, wenn viele Kinder mit guten Leistungen die Gym nasien verlassen. Derzeit sind es zu wenig. Eine gute Erstausbildung ist das Fundament für das gesamte Leben. Ich will, dass gute Lebenschancen mehr Kindern zur Verfügung stehen, auch denen aus benachteiligten und Migrantenfamilien.
Die Bachelor- und Master-Studiengänge entsprechen nicht dem, was wir damals in die Wege geleitet haben. Es ging um bessere Studierfähigkeit, bessere Betreuung der Studenten und eine europaweite Anerkennung der Abschlüsse. Von maximal drei Jahren Studienzeit bis zum ersten Abschluss oder festen Übergangsquoten steht nichts im Hochschulrahmengesetz.