Interview mit der Neuen Presse Hannover

09-09-25 Marktbesuch Stephansplatz

Edelgard Bulmahn wurde am 4. März 1951 in Petershagen (Westfalen) geboren. Sie war von 1998 bis 2005 Bundesministerin für Bildung und Forschung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die SPD-Politikerin hatte viele Ämter in ihrer Partei, darunter von 1998 bis 2003 Landeschefin in Niedersachsen. Seit 1987 vertritt die Lindenerin Hannover als direkt gewählte Abgeordnete im Bundestag. Ob Bulmahn auch 2013 noch mal antritt? „Lassen Sie sich überraschen”, sagt Bulmahn. Beratschlagen wird sie sich nicht nur mit ihrer Partei, sondern auch mit ihrem Ehemann Joachim Wolschke-Bulmahn, der an der Leibniz-Uni lehrt. Seit 1979 sind die beiden verheiratet.

"Frauen bekommen eine Chance"

NP: Bekommen die Sozialdemokraten durch die NRW-Wahl Rückenwind?
Bulmahn: Ja, das spürt man enorm. Das Wahlergebnis in NRW stärkt die SPD, es gibt ein deutliches Signal auch für Berlin.

NP: Was lernen Sie aus NRW?
Bulmahn: Wie wichtig es ist, dass die SPD klar und deutlich ihre Positionen vertritt und dass sie für die Menschen wichtige Themen in den Mittelpunkt ihrer Politik rückt. Hannelore Kraft hat sich in ihrer Regierungszeit und im Wahlkampf der Themen Familie, Bildung, Arbeit und der wirtschaftlichen Entwicklung der Städte und Gemeinden angenommen. Das sind wichtige Thema. Sie weiß, dass die Zukunft eines Landes davon abhängt, ob Kinder und Jugendliche gute Bildungschancen haben.

NP: Hat Krafts Erfolg auch damit zu tun, wie sie die Themen rüberbringt?
Bulmahn: Natürlich. Hannelore Kraft ist eine tolle Frau. Sie hat politische Überzeugungen und steht dafür ein, Themen und Personen sind eine Einheit, das spürt man auch. Sie ist eine sehr warmherzige Frau. Sie mag die Menschen wirklich, das ist nicht gespielt. Gleichzeitig ist sie klug und kompetent.

NP: Würden Sie sich Kraft als Kanzlerkandidatin wünschen?
Bulmahn: Sie hat sehr klar gesagt, dass sie in NRW bleiben will. Das tut sie auch, sie steht zu ihrem Wort. Was sie politisch umsetzen will, kann sie dort besser. Sie wird eine Politik für Kinder und Jugendliche und wirtschaftliche Entwicklung machen, das hilft auch den anderen Ländern.

NP: Könnte sie denn Kanzlerin?
Bulmahn: Das könnte sie auf jeden Fall. Doch auch als Regierungschefin von Nordrhein-Westfalen ist sie eine mächtige Frau. Mit 18 Millionen Einwohnern in NRW hat sie eine wichtige Stimme und politische Gestaltungsmacht, das wird sie nutzen.

NP: Heißt das, sie wird den SPD-Kanzlerkandidaten bestimmen?
Bulmahn: Hannelore Kraft wird einen großen Einfluss haben. Ob sie ihn nutzt, entscheidet sie selbst.

NP: Gabriel, Steinmeier, Steinbrück: Drei Männer machen die Kanzlerkandidatur unter sich aus. Warum bekommen Frauen keine Chance in der SPD?
Bulmahn: Frauen bekommen eine Chance, das sieht man ja an Hannelore Kraft. Wir haben darüber hinaus noch Manuela Schwesig als Bundespartei-Vize und natürlich Andrea Nahles als Generalsekretärin. Da sind sehr einflussreiche Positionen.

NP: Wer wird denn von den drei Männern Kanzlerkandidat?
Bulmahn: Das werden die Mitglieder entscheiden, so wie wir es auf unserem Parteitag beschlossen haben. In Niedersachsen haben wir mit Stephan Weil und Olaf Lies gute Erfahrungen damit gemacht.

NP: Dann wäre Steinbrück raus, der ist nicht beliebt in der Partei...
Bulmahn: Das wird man sehen. Es kommt darauf an, welche politischen Themen im Vordergrund stehen.

NP: Steinbrück, Steinmeier und Gabriel haben drei wichtige Wahlen verloren. Ist das nicht ein Makel?
Bulmahn: Nein. In der Politik haben viele Wahlen verloren. Etwa Helmut Kohl, bevor er Kanzler wurde. Gerhard Schröder gewann in Niedersachsen auch nicht auf Anhieb die Wahl zum Ministerpräsidenten. Man muss akzeptieren, dass man nicht immer gewinnt. Das gehört zu einer Demokratie dazu.

"Wähler wollen mehr mitbestimmen"

NP: Die Piraten haben sich bei vielen Themen noch gar nicht positioniert. Warum sind sie trotzdem so erfolgreich?
Bulmahn: Im Westen haben die Piraten die Linke als Protestpartei abgelöst. Die Wähler wollen stärker mitbestimmen und dieses Gefühl haben sie offenbar bei den Piraten. Daraus müssen alle etablierten Parteien ihre Schlüsse ziehen. Für uns als SPD ist es wichtig, offener für die Bürger zu werden, noch stärker ins Gespräch zu kommen auch über Diskussionsplattformen und Chatforen im Internet.

NP: Tun Sie als Politikerin zu wenig, um die Menschen in ihre Arbeit einzubinden?
Bulmahn: Ich tue viel, um die Menschen zu erreichen, nicht nur im Internet. Aber es ist in einer Demokratie wichtig, dass Bürger ihre Informationsrechte auch in Anspruch nehmen. Ich biete eine Bürgersprechstunde, in die jeder Mensch kommen kann. Ich führe in dieser Woche fast jeden Tag eine öffentliche Veranstaltung durch, da kommen 50, 80 200 Besucher – und ich möchte auch, dass die Menschen das nutzen ihre Meinung einzubringen.

NP: Die Piraten nutzen das Internet sehr offensiv. Kann die SPD da noch was lernen?
Bulmahn: Die SPD nutzt das Internet, Chatforen zum Beispiel, auch schon lange. Aber wir müssen noch besser werden. Die Kommunikation hat jedoch auch Grenzen. Als Abgeordneter hat man einen so dichten Zeitplan, dass man nicht immer sofort auf Anfragen reagieren kann. Das werden die Piraten auch noch merken.

NP: Der neue Piraten-Geschäftsführer Johannes Ponader twitterte aus einer TV-Talkshow heraus. Können Sie sich sowas vorstellen?
Bulmahn: Das ist rüde gegenüber den Gesprächspartnern. In einer öffentlichen Talkshow begeht man vielleicht keinen Vertrauensbruch, aber twittern ist dann immer noch unhöflich.

NP: Twittern Sie überhaupt?
Bulmahn: Ich twittere nicht. Ich halte es nicht für interessant mitzuteilen, ob ich gerade eine Tasse Kaffee mit ihnen trinke. Das sagt nichts über meine politischen Überzeugungen aus und auch nichts über meine Person.

NP: Was halten Sie denn vom Personal der Piraten?
Bulmahn: Die sind sehr unterschiedlich. Es gibt Piraten, die sind sehr informierte Leute und es gibt Mitglieder, die haben keine Ahnung.

NP: Sind ihnen die Piraten als Protestpartei lieber als die Linke?
Bulmahn: Das kann ich ehrlich nicht sagen. Ich kann die Zukunft eines Landes nicht allein aus der Internet-Perspektive gestalten. Die Piraten fangen gerade an das zu lernen. Wenn sie diesen Lernprozess nicht bestehen, werden sie sich nicht langfristig etablieren. Die Linke hat sich als Regionalpartei im Osten etabliert. Ob sie im Westen noch mal Erfolg hat, ist unklar.

NP: Aber jetzt kommt doch Heilsbringer Lafontaine zurück?
Bulmahn: Oskar Lafontaine ist kein Heilsbringer. Das Gegenteil ist der Fall. Lafontaine hat sein Scheitern bei der SPD nie verwunden. Und nun könnte er die Linke spalten, wenn er eine Kampfkandidatur um den Parteivorsitz anstrebt.

"Dieser Fiskalpakt ist eine Katastrophe"

NP: Welche Lektion lernen wir aus der Schuldenkrise in Europa?
Bulmahn: Die erste Lektion ist, dass wir in Europa einen dauerhaften Schuldenabbau betreiben müssen, aber langsam. Die zweite Lektion ist, dass der Schuldenabbau nicht die Handlungsfähigkeit der Staaten gefährden darf.

NP: Sie meinen Griechenland?
Bulmahn: In Griechenland erleben wir, wie massive Kürzungen eine Gesellschaft ruiniert. Und Spanien schlägt den gleichen Weg ein: Durch die Kürzungen der konservativen Regierung ist die Jugendarbeitslosigkeit auf fast 50 Prozent geschnellt, zugleich ist die Wirtschaft weiter eingebrochen.

NP: Sie lehnen die Sparpolitik, den der europäische Fiskalpakt festschreibt, ab?
Bulmahn: Dieser Fiskalpakt führt in die Katastrophe, wenn er nicht von einem Wachstumspakt begleitet wird. Ein Beispiel: Es ist absurd, dass wir in Deutschland über die Energiewende reden und nichts dafür unternehmen, um in den südeuropäischen Ländern Photovoltaik aufzubauen.

NP: Aber Sonnenenergie allein wird Griechenland nicht retten.
Bulmahn: Das ist auch nur ein Baustein – aber einer, der dem Mittelstand dort hilft und die Attraktivität als Wirtschaftsstandort verbessert. Und das Beispiel zeigt, dass es durchaus Wachstumschancen gibt. Deutschland hat in der Finanzkrise 2008 selbst gezeigt, dass Konjunkturprogramme erfolgreich sein können.

NP: Aber warum soll der deutsche Steuerzahler den Wohlstand von Griechen und Spaniern bezahlen?
Bulmahn: Der einfache deutsche Steuerzahler wird nicht zur Kasse gebeten. Die SPD schlägt zur Finanzierung die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer vor, so dass diejenigen zahlen die von Spekulationen profitieren. Außerdem sollen die Vermögenden stärker besteuert werden, deren Einkommen in der Finanzkrise noch gestiegen sind. Und dann gibt es auch noch über 200 Milliarden Euro Strukturhilfen der Europäischen Union, die derzeit auf Eis liegen und die wir endlich einsetzen wollen. Griechenland bekommt das Geld nicht, weil es nicht genug Eigenmittel aufbringen kann. Diese Anforderung hat man den Banken übrigens nicht gestellt.

NP: Wie steht es um eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte. Hilft der Regierungswechsel in Frankreich, Maßnahmen durchzusetzen?
Bulmahn: Es ist ein Schande, dass bislang so gut wie nichts passiert ist. Die schwarz-gelbe Bundesregierung tritt international als Bremser auf, statt eine Regulierung der Finanzmärkte zu forcieren. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich die Enquete-Kommission des Bundestages zu Wirtschaft und Wachstum für wirkungsvolle Maßnahmen aussprechen wird: Dazu zählen neben der Finanztransaktionssteuer stärkere Haftungsvorschriften für Finanzinstitute. Es kann nicht sein, dass für die Spekulationen alleine die Steuerzahler aufkommen. Außerdem werden wir sicher noch einmal die Eigenkapitalregeln für Banken verschärfen müssen.

Entweder oder...

NP: Wo haben Sie die größeren Heimatgefühle: Linden-Nord, Linden-Mitte oder Linden-Süd.
Bulmahn: Ich kenne nur Linden!

NP: Ausgehen: Hannover 96 oder Schauspiel Hannover?
Bulmahn: 96.

NP: Der bessere Kanzler: Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder?
Bulmahn: Helmut Schmidt ist eine Eminenz.

NP: Wein oder Bier?
Bulmahn: Wenn ich durstig bin ein Bier, ein Herrenhäuser. Und wenn ich nicht so durstig bin ein Glas Wein.