"Bund darf nicht nur Kommentator sein"
Am 14. Juni 2008 sprach die ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung Edelgard Bulmahn mit Anja Kühne und Amory Burchard vom Tagesspiegel über ihre Erwartungen an den Bildungsgipfel von Bund und Ländern. Dabei machte sie deutlich, dass sie vom Gipfel vor allem mehr Geld und mehr Chancen für Verlierer erwartet:
Frage: Bundeskanzlerin Angela Merkel will Deutschland zur Bildungsrepublik machen. Wie könnte die aussehen?
Edelgard Bulmahn: Jedes Kind ab 3 Jahren besucht einen Ganztageskindergarten der personell gut ausgestattet ist. Die Bundesrepublik hat nur noch Ganztagsschulen wo Kinder gemeinsam lernen und individuell gefördert werden, ohne mit 10 Jahren aussortiert zu werden. Unser Bildungssystem ist durchlässig und für Migranten- und Arbeiterkinder nicht mehr nach oben abgeschottet. Es ist selbstverständlich, dass Kinder aus ärmeren Familien und Migrantenfamilien besonders unterstützt werden. Hier müssen besondere Anstrengungen unternommen werden, mit mehr Lehrerstellen und zusätzlichem pädagogischem Personal.
Frage: Der Haken an Merkels Initiative ist, dass der Bund für das allgemein bildende Schulwesen nicht zuständig ist.
Edelgard Bulmahn: Es war falsch, dem Bund mit der Föderalismusreform jede Möglichkeit zu nehmen, Initiativen in der Schule finanziell anzustoßen. Denn dort wo der Bund es noch vor der Verfassungsreform getan hat, sind die Effekte positiv, obwohl die CDU-Länder damals Sturm gelaufen sind: Die Ganztagsangebote haben sich seit 2002 verdoppelt, die Qualität der frühkindlichen Bildung hat sich erheblich verbessert. Der anstehende zweite Teil der Föderalismusreform bietet die Chance, diesen Fehler zu korrigieren. Der Bund darf in der Bildung nicht auf die Rolle des Kommentators reduziert werden.
Frage: Bildung ist ein nationales Thema, dem die Länder sich durchaus gewachsen sehen. Dabei verweisen sie auf große Anstrengungen nach Pisa. Erkennen Sie das an?
Edelgard Bulmahn: Trotz großer Anstrengungen muss man feststellen, dass das Bildungsbudget nicht gestiegen ist. Der Anteil von Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist sogar gesunken. Diesen Trend müssen wir sehr schnell umkehren. Denn gute Qualität gibt es nicht ohne gut ausgebildete LehrerInnen und gut ausgestattete Schulen. Deshalb wäre es auch falsch, die Steuern zu senken, das ist auch die Botschaft des nationalen Bildungsberichts.
Frage: Der neue nationale Bildungsbericht sieht das duale Ausbildungssystem in der Krise. Es drohe seine ursprüngliche Stärke, auch Jugendliche aus bildungsfernen Schichten in die Berufswelt zu integrieren, zu verlieren. Was müssen Politik und Wirtschaft hier verbessern?
Edelgard Bulmahn: Leider ist das duale System schon seit den neunziger Jahren in der Krise. Es ist dramatisch, wenn ein Jahr nach dem Schulabgang die Hälfte aller Hauptschüler noch keinen Ausbildungsplatz hat. Hinzu kommt: wenn bei 20 Prozent der Fünfzehnjährigen sogar Grundkompetenzen im Lesen fehlen, werden sie selbst bei steigenden Ausbildungsplatzzahlen, schlechte Chancen haben. Hier muss sich das Schulsystem ändern. In den Regionen selbst kann durch schulische Angebote und durch Ausbildungsnetze bzw. –partnerschaften zwischen Unternehmen und Schulen die Ausbildungssituation verbessert werden. Hier ist schon viel geschehen. Allerdings: nicht jedes Unternehmen bildet aus, auch wenn es könnte. Ausbildung ist eine wichtige Aufgabe, schließlich geht es um die Fachkräfte von morgen.
Frage: Was muss in der Hochschulpolitik geschehen?
Edelgard Bulmahn: Es ist gut, dass die Exzellenzinitiative fortgesetzt wird. Außerdem sollte ein zweiter Hochschulpakt aufgelegt werden, um die Lehre zu verbessern. Dieser muss aber erheblich mehr Geld für neue Professuren enthalten als der erste. Ich halte deshalb ein groß angelegtes 10-Jahres Bund-Länder-Professoren-Programm für notwendig . Auch müssen in Zukunft viel mehr Menschen mit Berufsausbildung aber ohne Abitur ein Studium aufnehmen. Bei uns schaffen das nur ein Prozent, in der Schweiz sind es über 40 Prozent. Dies wäre ein wichtiger Schritt um etwa den Fachkräftemangel bei Ingenieuren zu bekämpfen.
Frage: Was erwarten Sie vom nationalen Bildungsgipfel im Oktober?
Edelgard Bulmahn: Ich erwarte eine verbindliche Verabredung darüber, wie der Anteil am Bip für Bildung bis 2010 auf sieben Prozent erhöht werden kann – denn die Zeit drängt sehr. Und eine verbindliche Vereinbarung über Handlungsschritte und ihre Finanzierung für eine deutliche Verbesserung der Bildungschancen von Migrantenkindern und den bisherigen Verlierern in unserem Bildungssystem vom Kindergarten bis zum Berufsabschluss.