Gemeinsam mit der SPD in der Region Hannover hat die hannoversche Bundestagsabgeordnete Edelgard Bulmahn in der Reihe "Kompass für Berlin" zu einer Veranstaltung über die zukünftige Entwicklung in Afghanistan eingeladen. Im Mittelpunkt dabei stand die Frage: Wie geht es weiter in Afghanistan? Wie können wir es schaffen, die demokratische gesellschaftliche Entwicklung in Afghanistan voranzubringen? Die einführende Rede von Edelgard Bulmahn findet sich hier im Wortlaut:

Sehr geehrte Herren und Damen,
liebe Genossinnen und Genossen,

„Kompass für Berlin“, so hat die SPD in der Region Hannover ihre neue Veranstaltungsreihe genannt, die heute startet. Der Kompass zeigt in Richtung Berlin und will Themen aufgreifen, die aktuell in der Bundesrepublik von Bedeutung sind. Dabei geht es nicht darum, die Richtung – in Beton gegossen – vorzugeben, sondern vielmehr darum, das Gespräch, die Diskussion zu führen, zu informieren und Anregungen und Hinweise mit nach Berlin zu nehmen.

In unserem Land gibt es große Skepsis und Ablehnung gegenüber der Beteiligung Deutschlands an bewaffneten Auseinandersetzungen. Und das ist nichts Schlechtes. Trotzdem haben wir, die SPD, uns vor neun Jahren entschieden uns am Afghanistaneinsatz zu beteiligen. Und wir wissen, dass diese Beteiligung immer umstritten war und dass die Bedenken und Ablehnung in der Bevölkerung aber noch gewachsen ist – auch in der SPD.

Meine sehr verehrten Herren und Damen,
liebe Genossinnen und Genossen,

„Wo die Freiheit nicht Beizeiten verteidigt wird, ist sie nur um den Preis schrecklich großer Opfer zurück zu gewinnen“, so hat Willy Brandt uns gemahnt. Die Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland ist für alle Parlamentarier nicht leicht. Weil wir eine hohe Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben und gegenüber der afghanischen Bevölkerung, den Verbündeten und den Bürgern in unserem eigenen Land. Die Entscheidungen fallen aber deshalb so schwer, weil sie den Kern menschlicher Existenz berühren, weil sie den Kern unserer Überzeugungen und Werte betreffen.

Die SPD hat sich seit ihrer Gründung vor nunmehr fast 150 Jahren immer wieder mit der Frage von Krieg und Frieden auseinandergesetzt.
Die Frage, sind militärische Mittel zu rechtfertigen, führen sie überhaupt zu Freiheit, zur Beseitigung von Unrecht, oder schaffen sie nur neues Unrecht, ist nicht mit Schwarz-Weiß Kategorien zu beantworten.


„Neue Wege in Afghanistan?“ - Wir haben den Titel ganz bewusst als Frage formuliert, denn wir wollen wir mit Ihnen gemeinsam diskutieren, ob es eine berechtigte Hoffnung nach der Londoner Konferenz gibt, Frieden in Afghanistan zu schaffen und den Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen, und ob wir unser militärisches wie ziviles Engagement in Afghanistan neu ausrichten sollen.
In unserer Demokratie benötigen Soldatinnen und Soldaten, aber auch Parlamentarier die Unterstützung unserer Bevölkerung. Deshalb müssen wir unsere Entscheidungen immer wieder begründen, darüber informieren, vor allem aber das Gespräch führen, unterschiedliche Positionen und Überzeugungen kennen lernen und in unsere Abwägungen einbeziehen.

Natürlich führen die Anschläge, die Korruption, die Menschenrechts-verletzungen, die Wahlfälschungen und nicht zuletzt die Bombardierung von Kundus zur Verunsicherung und Kritik des Einsatzes. Gerade deshalb brauchen wir Offenheit in der Debatte, Argumente dürfen nicht beiseite geschoben oder ignoriert werden, die ernsthafte Beschäftigung und Auseinandersetzung mit den verschiedenen Argumenten ist notwendig. Wir brauchen aber auch Entschlossenheit bei der Umsetzung, Rückgrat, um Beschlossenes auch gegen Widerstände zu vertreten, und Solidarität mit all jenen, die unter lebensgefährlichen Bedingungen in Afghanistan arbeiten.

Wir laden alle ein, sich an der Debatte zu beteiligen.
Ich habe als junges SPD-Mitglied mit heißem Herzen und voller Überzeugung Willy Brandts Friedenspolitik unterstützt. Weil ich davon überzeugt war – und ich bin es noch – dass Krieg immer ein Versagen von Politik darstellt und stets mit Tod, Schmerz und Verlust einhergeht. Der Krieg kann und darf daher nie mehr als eine „Ultima Ratio“ sein.
Aber ich war und bin keine Pazifistin im absoluten Sinne. Vielleicht, weil ich Menschen verbunden bin, die die Befreiung vom Nationalsozialismus als wirkliche Befreiung von Verfolgung und Bedrohung ihres Lebens erlebt haben, in Hannover-Linden, in Israel, in meiner Familie. Militärische Auseinandersetzungen zu verhindern und politische Lösungen für Konflikte zu suchen ist das Gebot für jeden Politiker. Trotzdem kann ein militärischer Einsatz notwendig sein in einer Welt, in der oft gar nicht mehr Staaten gegeneinander Krieg führen, sondern Diktatoren oder Terrorristen Bürgerkriege führen und so uns und andere bedrohen. Deshalb ist es gut, wenn wir es uns schwer machen, solche Einsätze zu beschließen oder fortzusetzen und die Diskussionen darum mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und dem notwendigen Verantwortungsbewusstsein zu führen.

Die Frage von Krieg und Frieden ist für Sozialdemokraten keine taktische Frage, sondern prinzipieller Natur. Antworten darauf orientieren sich nicht daran, ob wir einen politischen Vorteil davon haben oder ob sie gerade in die aktuelle politische Landschaft passen oder nicht. Wir haben immer auf der Grundlage von Prinzipien entschieden, nicht auf Grundlage von Taktik.
Afghanistan ist dafür das beste Beispiel. Während die Vereinten Nationen die Intervention im Irak ablehnten und die deutsche Bundesregierung mit „Nein“ antwortete, findet der Einsatz in Afghanistan auf einer völlig klaren völkerrechtlichen Grundlage und auf Bitten der UN statt. Deshalb standen und stehen wir dazu.

Lassen Sie mich die Grundzüge und Ausrichtungen unserer Überlegungen kurz darstellen:

1. Wir wollen die Afghanen stärken, sie so unterstützen, dass sie gut regiert werden, gut ausgebildet und mittelfristig selbst für Sicherheit und Wohlstand in ihrem Land sorgen können. Wir wollen dies in einer verantwortlichen Art und Weise tun, die die Menschen in Afghanistan nicht im Stich lässt. Aber wie die Afghanen leben wollen, das können am Ende nur sie selbst entscheiden. Sie sollten aber eine Chance haben und tatsächlich entscheiden können und nicht durch radikale Minderheiten gezwungen werden, so oder so zu leben.

2. Der Schlüssel für eine nachhaltige Befriedung des Landes liegt in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und dem Aufbau der Zivilgesellschaft.

3. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir im Bereich der afghanischen Militär- und Polizeiausbildung mehr tun müssen. Dazu muss vor allem die Zahl der Polizeiausbilder erhöht werden.

4. Und wir glauben, dass wir den Afghanen gegenüber Klarheit schaffen sollten, dass Schrittweise sie selbst die Verantwortung stärker übernehmen müssen.

Wie das geschehen soll, darüber werden die vier Mitdiskutanten jetzt sprechen –
In zwei ersten Runden, danach sollte das Gespräch für alle geöffnet werden.

Ich freue mich ganz besonders, eine ausgewiesene Expertin für die Region Afghanistan/Pakistan für unsere Veranstaltung gewonnen zu haben, Frau Dr. Citha Maas von der Stifzung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Frau Dr. Maas ist bei der SWP in der Forschungsgruppe Asien tätig und beschäftigt sich aus wissenschaftlicher Sicht mit den Perspektiven für eine Konsolidierung Afghanistans. Von 2002 bis 2005 hat Frau Dr. Maas in einem Projekt zur Öffentlichkeitsarbeit im afghanischen Wahlprozess mitgearbeitet.

Sigmar Gabriel hat in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag vor zwei Wochen betont: „Wer, wenn nicht die Kirchen dieser Welt, hat das Recht, wenn nicht sogar die Pflicht, mehr Fantasie für den Frieden einzufordern?“. Ich kann ihm da nur beipflichten und freue mich, Herrn Oberkirchenrat Dr. Eberhard Pausch zu begrüßen. Herr Dr. Pausch ist im Kirchenamt der EKD hier in Hannover Referent für Fragen öffentlicher Verantwortung. In dieser Funktion beschäftigt er sich unter anderem mit Friedensfragen und ist seit 2005 evangelisches Mitglied der Arbeitsgruppe „Gerechter Frieden“ von „Iustitia et Pax“

Ich begrüße als weiteren Diskussionspartner Herrn Rainer H. David. Er ist studierter Soziologe und Major der Reserve und Regionalleiter der Deutschen Atlantischen Gesellschaft in Hannover. Als Soldat kann er vor allem die besondere Situation der Bundeswehr in Afghanistan sehr gut einschätzen. Als Kenner der transatlantischen Beziehungen kann er aber auch diesen Aspekt des internationalen Engagements in Afghanistan besonders bewerten.

Last but not least freue ich mich, meinen Kollegen Rolf Mützenich heute hier begrüßen zu können. Er ist der außenpolitische Sprecher unserer Bundestagsfraktion und ein äußerst erfahrener und kenntnisreicher Außenpolitiker.


Die SPD hat einen umfassenden Vorschlag für den künftigen Afghanistaneinsatz gemacht, vieles davon ist in dem Vorschlag der Bundesregierung aufgenommen worden. Heute Morgen haben wir im Parlament diskutiert.
Wir wollen die Diskussionen vor Ort weiterführen. Dazu soll auch der heutige Abend dienen. Nichts ist in Stein gemeißelt. Wir stellen uns der Diskussion und freuen uns auf überzeugende Alternativen oder Argumente.