Zu fortgeschrittener Zeit setzte sich der Deutsche Bundestag heute in einer Debatte mit Fragen der Zivilen Krisenprävention auseinander. Die hannoversche Bundestagsabgeordnete und Sprecherin der SPD Bundestagsfraktion im Unterausschuss Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit machte dabei deutlich, dass es gerade bei der Zivilen Krisenprävention mehr Verlässlichkeit und Durchsetzungskraft braucht. Das Engagement der schwarz-gelben Bundesregierung bezeichnete sie dabei als ausbaufähig.


Die Rede im Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe als junge Abgeordnete hier im Deutschen Bundestag erlebt, wie über die schrecklichen Ereignisse in Srebrenica und Ruanda diskutiert wurde. Ich habe auch die Hilflosigkeit erlebt, die viele Kolleginnen und Kollegen, ich selber auch, damals dabei empfunden haben. Deshalb bin ich sehr froh, dass die internationale Staatengemeinschaft aus diesen schrecklichen Ereignissen die richtigen Konsequenzen gezogen hat, nämlich einmal die Konsequenz, der zivilen Krisenprävention ein erheblich größeres Gewicht in ihrer Politik zu geben, und auch die Konsequenz, rechtzeitig Maßnahmen der zivilen Krisenprävention einzusetzen. Diesen Prinzipien trägt sie Rechnung, indem sie rechtzeitig Verantwortung auf sich nimmt, um zum Beispiel Völkermord zu verhindern.

Vor zehn Jahren hat die damalige rot-grüne Bundesregierung mit ihrem Gesamtkonzept „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ die Weichen dafür gestellt, dass auch die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ausdrücklich darauf abstellt, internationale und innerstaatliche Konflikte friedlich zu lösen. Ein weiterer Meilenstein war der Aktionsplan aus dem Jahr 2004. Die Prävention von Gewalt und Krieg und die zivile Konfliktbearbeitung sollten – das war das Ziel – grundsätzlich Vorrang gegenüber militärischen Interventionen haben. Mit dem Aktionsplan wurden die Voraussetzungen und die Strukturen dafür geschaffen, zum Beispiel das ZIF. Diese Strukturen, die wir mithilfe des Aktionsplans geschaffen haben, finden international hohe Anerkennung.
Hier wird auch sehr wirkungsvolle Arbeit geleistet. Für viele Nichtregierungsorganisationen bildet der Aktionsplan übrigens den Rahmen, in dem sie ihre wichtige und notwendige Arbeit durchführen und ausbauen können.

Ein weiteres wichtiges Zeichen war die Einrichtung des Unterausschusses „Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit“ in dieser Legislaturperiode. Mithilfe dieses Unterausschusses ist erstmals eine kontinuierliche parlamentarische Mitwirkung und Kontrolle sichergestellt. Auch das ist ganz wichtig und eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass zivile Krisenprävention wirklich die Aufmerksamkeit und Unterstützung erhält, die sie braucht. Die Arbeit im Unterausschuss – ich denke, das kann ich für alle Kolleginnen und Kollegen sagen – ist konstruktiv und auch zielgerichtet. Dennoch dürfen wir nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich denke, das müssen wir uns auch selbst immer wieder sagen –, der Versuchung erliegen, alle Fragen, Probleme und Strategien ziviler Konfliktlösung ausschließlich im Unterausschuss zu behandeln, sodass sich die anderen Ausschüsse, sei es der Auswärtige Ausschuss oder der Verteidigungsausschuss, oder auch das gesamte Parlament überhaupt nicht mehr mit diesen Fragen befassen. Das wäre eine falsche Entwicklung. Vielmehr müssen wir beides tun. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir heute Abend eine Debatte über die Ziele und Instrumente ziviler Krisenprävention führen. Ein Blick auf die Uhr, ganz offen gesagt, macht aber auch deutlich, dass die parlamentarische Aufmerksamkeit noch ausbaufähig ist.

Ausbaufähig, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist vor allen Dingen auch das Engagement der Bundesregierung. Sie hat es leider versäumt, in ihrer Außenpolitik der zivilen Krisenprävention die prioritäre Rolle, die sie haben muss, zu geben. Ihr kommt derzeit diese prioritäre Rolle nicht zu. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Bundesregierung die zivile Krisenprävention finanziell ausbluten lässt. Fast ein Drittel der Mittel für Krisenprävention, Friedenssicherung und Konfliktbewältigung – meine Kollegin hat darauf hingewiesen – ist schlichtweg weggefallen. Man kann natürlich auch so Schwerpunkte setzen – keine Frage. Aber diese Schwerpunkte zeigen in die falsche Richtung.

Zu Recht haben deshalb die führenden deutschen Friedensforschungsinstitute in ihrem diesjährigen Friedensgutachten die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung in wirklich ungewöhnlich scharfer Form
kritisiert. Sie fordern mit Nachdruck Vorrang für zivile Strukturen ein. Die Stichworte, die hier genannt werden, lauten: Krisenprävention, Konfliktanalyse, Konfliktbearbeitung, nachsorgende Konfliktbearbeitung und Diplomatie. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen – das trifft auf Parlamentarier aller Fraktionen zu –, dass es zwar nicht überflüssig ist, in Sonntagsreden die Bedeutung ziviler Krisenprävention zu betonen und zu unterstreichen – das ist sogar gut –, aber auch nicht ausreichend ist, wie es so schön heißt. Eine gute Politik zeichnet sich eben dadurch aus, dass bei Entscheidungen am darauffolgenden Montag der zivilen Krisenprävention tatsächlich Vorrang eingeräumt wird. Das geht aber nicht, ohne dass dafür eine Basis geschaffen wird.

In diesem Zusammenhang müssen wir leider auch über das Geld reden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und der FDP, sorgen Sie dafür – da haben Sie ganz bestimmt die Unterstützung der Opposition –, dass die Mittelausstattung für die Bereiche der zivilen Krisenprävention und auch für die Entwicklungshilfe 2012 wieder deutlich verbessert wird und dass sie in der mittelfristigen Finanzplanung – auch das ist wichtig – mit den gebotenen Zuwächsen abgesichert wird. Zivile Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung erfordern nämlich einen langfristigen Ansatz. Sie können keine Kurzatmigkeit vertragen; das muss man einfach so klar und deutlich sagen. Wenn sie kurzatmig betrieben werden, dann zeigen sie keine Wirkung. Hier bedarf es also einer langfristigen Verlässlichkeit.

Mehr Verlässlichkeit und politische Durchschlagskraft sind im Übrigen auch in der personellen und inhaltlichen
Begleitung dieses Themenbereiches dringend erforderlich. Der Ressortkreis ist sinnvoll – das wird niemand bestreiten –, aber nicht ausreichend; das muss ich auch an dieser Stelle sagen. Ein Staatssekretärsausschuss, wie ihn die SPD-Fraktion und auch Bündnis 90/ Die Grünen in ihrem Antrag vorgeschlagen haben, ist sinnvoll; denn damit wird ein Gremium geschaffen, das mit echten und finanziellen Entscheidungskompetenzen ausgestattet ist. Genau das brauchen wir. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Koalitionsfraktionen sich diesem Vorschlag anschließen würden. Es ist für niemanden von Nachteil, wenn er gute Vorschläge aufgreift. Man sollte sich in der Politik nicht genieren, dies zu tun. Wie gesagt, ich hoffe sehr, dass die Koalitionsfraktionen diesen Vorschlag aufgreifen. Über den Vorschlag, den Sie, Herr Kollege Kiesewetter, gemacht haben, nämlich die Bundesakademie für Sicherheitspolitik zu einem Zentrum für zivile Krisenprävention auszubauen, sollten
wir im Unterausschuss diskutieren.

Es ist aber sicherlich richtig, dass dies keine Alternative ist zu dem Vorschlag, den ich vorhin gemacht habe; denn
beide Vorschläge beinhalten unterschiedliche Zielsetzungen. Wir werden sicherlich noch mehrere Schritte unternehmen müssen, damit wir das Ziel erreichen, der zivilen Krisenprävention ein größeres Gewicht zu verleihen.
Auch der zivilgesellschaftliche Beirat beim Auswärtigen Amt, eine wichtige Schnittstelle, muss aus seinem Schattendasein herausgeführt werden. Auch das ist richtigerweise angesprochen worden. Es reicht, ganz offen gesagt, nicht aus, dass dieser Beirat Informationen von der Bundesregierung erhält. Wir müssen das Potenzial und die Kompetenzen, die im Beirat vorhanden sind, besser nutzen. Dazu gehört auch, dass der Beirat eine gestalterische Rolle spielt.

Ich will ausdrücklich sagen, dass sich die Forderungen,die die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Hinblick auf den Ausbau ziviler Krisenprävention in ihrem Antrag formuliert hat, in weiten Teilen mit Forderungen in unserem Antrag, den wir im Januar dieses Jahres in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, decken. Wir werden ihn daher mit allen Kräften unterstützen. Ich hoffe, dass wir für die Beratungen über beide Anträge im Ausschuss und Unterausschuss eine gute Grundlage haben und die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.

Vielen Dank."