In einer aktuellen Stunde hat sich der Bundestag heute mit antisemitischen und israelfeindlichen Positionen und Verhaltensweisen in der Linkspartei befasst. Die hannoversche Bundestagsabgeordnete Edelgard Bulmahn hat dabei noch einmal betont, dass jegliche Formen von Antisemitismus und Rassismus konsequent und eindeutig abzulehnen sind. Deutschland hat eine besondere Verantwortung das Existenzrecht Israels zu sichern und muss jedes Infragestellen dieses Existenzrechtes abwenden.


Die Rede im Wortlaut

"Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Präsident!

Ja, wir müssen leider sagen: Es ist richtig, dass es in unserem Land antisemitische Einstellungen in allen Altersgruppen, in allen politischen Richtungen und in allen Gesellschaftsschichten gibt. Wir müssen leider sagen, dass dies nicht Geschichte, sondern Gegenwart ist. Umso wichtiger ist es, dass dieses Hohe Haus, der Deutsche Bundestag, in dieser Frage eindeutig Stellung nimmt, dass jegliche Form von Antisemitismus und Rassismus in aller Konsequenz und eindeutig abzulehnen sind.

Ich habe vor wenigen Tagen gemeinsam mit Kollegen aus anderen Fraktionen zum wiederholten Male Israel besucht. Ich will deshalb meine Rede etwas anders akzentuieren, als es meine Vorredner gemacht haben. Wir
haben im Verlauf dieser Reise Sderot besucht, eine Kleinstadt in der Nähe von Gaza, in der in wenigen Tagen mehr als 200 Raketen eingeschlagen sind. Machen wir uns eigentlich klar, was das für die Menschen, die dort leben, bedeutet? Es bedeutet, immer mit Bedrohung und Angst zu leben: Angst vor einem möglichen Krieg, vor dem eigenen Tod oder dem der Kinder. Kein Israeli wächst ohne diese Angst auf. Jeder weiß, dass diese Bedrohung nicht der Vergangenheit angehört. Sie ist Bestandteildes normalen Lebens. Diese Bedrohung ist Gegenwart. Sie ist nicht eingrenzbar, und sie wirkt sich bis in das kleinste Dorf aus.

Das ist die eine Seite. Aber es gibt auch die andere Seite, die wir in Ostjerusalem erleben konnten: die Anwendung von Gewalt durch israelische Siedlergruppen oder deren Sicherheitspersonal gegenüber den Palästinensern, jung oder alt, männlich oder weiblich, und die gewaltsame Inbesitznahme palästinensischer Gebiete durch israelische Siedlergruppen. Auch hier gilt: Die Bedrohung ist Gegenwart, und sie wirkt sich bis in das kleinste Dorf aus.

Zur inneren Tragik des Nahostkonflikts gehört es – das ist wichtig für uns als deutsche Politikerinnen und Politiker –, dass die Gründung des Staates Israel nur um den Preis neuer Opfer und neuer Leiden möglich war. Dem Existenzrecht des Staates Israel steht das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser gegenüber. Beide Ansprüche sind legitim. Sie schließen sich aber so lange gegenseitig aus, wie es den Israelis und Palästinensern nicht gelingt, sich auf einen für beide Seiten tragfähigen Kompromiss zu verständigen.

Eine Lösung des Nahostkonflikts ist für beide Seiten eine Frage des Überlebens und der Erhaltung ihrer persönlichen, aber auch ihrer politischen und moralischen Integrität. Eine oberflächliche Betrachtungsweise und
Konfliktbeurteilungen nach dem Gut-Böse-Schema, wie ich sie leider teilweise bei Ihnen, liebe Kollegen von der
Linksfraktion, feststellen muss, machen blind für Ursache und Entwicklung des Konflikts, und sie machen auch blind für mögliche Lösungswege.

Wir wissen, dass Gesprächs- und Kompromissbereitschaft sowie Verhandlungen der einzige Weg sind, der aus dieser scheinbar ausweglosen Lage herausführen kann. Deshalb hilft es weder Israel noch den Palästinensern,
wenn Deutsche Schuldzuweisungen aussprechen. Notwendig ist, die Bereitschaft zu fördern, Verhandlungen zu beginnen. Es geht nicht darum, legitime Kritik an der Politik der israelischen Regierung zu verbieten. Wir selber kritisieren in diesem Hause die israelische Siedlungspolitik. Das haben wir nicht nur einmal getan. Aber wir kritisieren auch die Raketenangriffe auf Israel, die Attentate auf unschuldige Menschen und die Drohungen der Hamas gegen den Staat Israel.

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linken, frage ich mich, wie Sie es zulassen können,
dass ein Mitglied Ihrer Fraktion in diesem Haus in der Öffentlichkeit das Existenzrecht Israels infrage stellt. Nichts anderes heißt es, wenn man ein solches Tuch trägt, Frau Höger. Von einer Politikerin erwarte ich, dass sie den Mut hat, in einer solchen Situation das Tuch abzulegen und zu sagen: „Nein, das ist mit mir nicht zu machen. Dazu bin ich nicht bereit.“ Das erwarte ich von einer Politikerin, egal zu welcher Fraktion sie gehört. Ich verstehe auch nicht, wie eine Fraktion es zulassen kann, dass die derzeitige Siedlungspolitik der israelischen Regierung – die wir alle kritisieren – als kriegstreiberische Aktion des Staates Israel bezeichnet und gleichzeitig die Hisbollah sozusagen als Teil der Friedensbewegung beschrieben wird. Was ist das für eine Geisteshaltung, die sich da zeigt?

Genauso wenig verstehe ich, wie man zu einem Boykott israelischer Produkte aufrufen kann. Das verbietet sich
schon eingedenk unserer Vergangenheit. Das ist purer Rassismus, nichts anderes. Antisemitismus und die Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen dürfen wir nicht zulassen; dazu muss es einen Konsens in Ihrer Fraktion geben. Keine Fraktion, ob links oder rechts, darf so etwas zulassen. Jede Fraktion muss sich dagegen positionieren, und zwar eindeutig, laut und konsequent, nicht nur punktuell.

Die besondere Verantwortung, in der wir aufgrund unseres historischen Erbes stehen, ist keine Frage des Alters
und auch keine Frage der politischen Überzeugung, sondern ist ein geschichtlicher Fakt, der für uns alle gilt und
der uns besonders sensibel gegenüber Antisemitismus in unserem Land machen sollte.

Lassen Sie mich schließen. Deutschland hat eine besondere Verantwortung, das Existenzrecht Israels zu sichern, ich sage ausdrücklich: zu verteidigen. Das bedeutet nicht, jede Entscheidung der israelischen Regierung zu unterstützen. Aber das heißt, jedes Infragestellen des Existenzrechts Israels abzuwehren. Das gilt hoffentlich für uns alle.

Vielen Dank."