zwd-Gespräch mit Edelgard Bulmahn über die geplante Förderalismusreform

Das Bildungsförderungs-Verbot für den Bund muss revidiert werden

zwd Berlin (B&P) Die frühere Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn hat sich in scharfer Form gegen das faktische Bildungsförderungsverbot gewandt, das dem Bund im Zuge der Föderalismusreform auferlegt werden soll. In einem Gespräch mit dem ZWEIWOCHENDIENST plädierte die SPD-Bundestagsabgeordnete, die jetzt Vorsitzende des Bundestagswirtschaftsausschusses ist, für wesentliche Änderungen in dem Reformwerk. Auch zukünftig, so Bulmahn, müsse dem Bund erlaubt sein, wichtige Initiativen wie beispielsweise das Ganztagsschulprogramm ergreifen zu können. Nachdrücklich kritisierte die SPD-Politikerin auch den Ansatz, wonach sich der Bund ausschließlich auf die Forschung konzentrieren solle. Es sei ein Irrglaube anzunehmen, dass man Forschung und Lehre von einander trennen könne.

zwd: Frau Bulmahn, die 1969 durch eine große Koalition herbeigeführten Grundgesetzänderungen haben dem Bund mehr Kompetenzen in Teilbereichen des Bildungswesens eröffnet, speziell in der Bildungsplanung und auch beim Hochschulbau. Damals reagierte eine große Koalition auf einen schwerwiegenden Modernisierungsrückstand im Lande. Haben wir diesen Modernisierungsrückstand überwunden, dass sich ein Verzicht auf die damals getroffenen Regelungen rechtfertigen lässt?

Edelgard Bulmahn: Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil. Aus allen Untersuchungen der OECD, aus den PISA-Studien und nicht zuletzt aus den Statistiken des Statistischen Bundesamtes wissen wir, dass wir vom Ziel der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bildungswesen immer noch weit entfernt sind. Es gibt noch immer keine Startgerechtigkeit für Kinder beim Eintritt in das Bildungswesen, es gibt immer noch einen gewaltigen Nachholbedarf, sei es bei der kindlichen Frühförderung, sei es bei der Ganztagsbetreuung im Kindergarten, in den Schulen. Der Katalog des unverändert bestehenden Modernisierungsbedarfs erstreckt sich über die Hochschulen bis hin zur Weiterbildung

zwd: ... die nach dem Willen der Koalition ja zu einer wirklichen Vierten Säule des Bildungssystems ausgebaut werden soll. Wie das funktionieren soll, wenn der Bund sich hier nicht mehr einbringen kann, dafür haben wir bisher keine Erklärung bekommen.

Bulmahn: Ich gebe zu, das ist ein unleugbarer Widerspruch. Ich füge hinzu: Dank der finanziellen Mitwirkung des Bundes sind die Hochschulen in Deutschland massiv ausgebaut worden. Der erwartbare Zuwachs an Studienanfängern kann im nächsten Jahrzehnt nur bewältigt werden, wenn wir in der Hochschulbauförderung und in der qualitativen Modernisierung der Hochschulen, beispielsweise durch die von mir gestarteten Exzellenzinitiative, nicht nachlassen. Es kommt außerdem noch ein weiterer Aspekt hinzu: Seit der Verfassungsreform von 1969 hat sich die politische Landschaft erheblich verändert. Heute haben wir die Europäische Union, die es damals in dieser Form noch nicht gab, wir haben die Wiedervereinigung bekommen und damit gewaltige Aufbauleistungen im Osten übernommen. Alles Prozesse, die nicht abgeschlossen sind und die eine nachhaltige Mitwirkung des Bundes erfordern. zwd: Sie wollen damit sagen, die Voraussetzungen im Hochschulwesen in den neuen Bundesländern seien noch lange nicht mit denen im Westen vergleichbar?

Bulmahn: Richtig. Die neuen Bundesländer, aber auch Nordrhein-Westfalen und die norddeutschen Länder werden in den kommenden 15 bis 20 Jahren nicht aus eigener Kraft die Anstrengungen bewältigen können, die sie leisten müssen, um eine erheblich größere Zahl von Studierenden ausbilden zu können und damit den Anforderungen an ihr Bildungs- und Forschungssystem zu genügen. Das ist die Kernfrage, an der sich wiederum die Entwicklung der Lebensverhältnisse sehr stark orientieren wird. Deshalb gibt es eben auch immer einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Wirtschaft und der Stärke von Bildungs- und Forschungseinrichtungen in einer Region. Diesen Zusammenhang darf man einfach nicht verkennen.

zwd: Also halten Sie auch nichts von dem häufig in Union und FDP geforderten Wettbewerbsföderalismus?

Bulmahn: Nein. In dieser Form nicht. Ich kann das mit einem Beispiel sagen: Wenn ein Wettlauf stattfindet und der eine startet mit einem Motorrad und der andere startet mit einem gebrochenen Bein, dann kann man nicht erwarten, dass beide annähernd gleichzeitig das Ziel erreichen. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ganz erhebliche Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Länder, in der Ausstattung mit Forschungsinfrastrukturen. Ebenso auch bei den regionalen wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten und bei den Bildungsmöglichkeiten innerhalb der Regionen. Das alles beiseite zu schieben und zu sagen, der Wettbewerb wird es schon richten, ist entweder naiv oder es steht ein gezielter Wille dahinter, ein gespaltenes Land haben zu wollen. Beides halte ich für gefährlich.

zwd: Sieben Jahre lang haben Sie als Bundesbildungsministerin mit dieser Verfassungslage leben müssen. Haben Sie die Grundgesetzregelungen für Ihre Arbeit als ausreichend angesehen zur Bewältigung der bildungspolitischen Aufgaben, die vom Bund im Sinne der Herstellung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse erwartet wurden?

Bulmahn: Ich gebe zu, dass es in der politischen Konstellation, in der die rot-grüne Koalition Reformen auf den Weg bringen musste, es nicht gerade einfach war, den in 16-jähriger Herrschaft unter Kohl entstandenen Reformstau abzubauen. Trotzdem haben wir vieles geschafft, was sich sehen lassen kann und was ohne die seit 1969 bestehenden grundgesetzlichen Voraussetzungen so sicherlich nicht möglich gewesen wäre. Ich erinnere unter anderem an den Ausbau der frühkindlichen Betreuung, das Ganztagsschulprogramm, die Juniorprofessur, die Exzellenzinitiative oder auch Programme wir Internationalisierung der Hochschulen, Neue Medien in der Bildung oder Sinus, das Programm zur Förderung der Sprach- und Lesekompetenz von Migrantinnenkindern, dass ich über 3 Jahre immer wieder vorgeschlagen hatte.

zwd: Ihre Nachfolgerin, Bundesministerin Schavan, meint, der Bund habe nie wirklich Einfluss in der Bildungspolitik gehabt, insofern sei es richtig, dass sich der Bund auf die Forschung konzentriere. Wird das politische Geschäft für die Bundesministerin für Bildung und Forschung damit nicht einfacher? Was kann der Bund durch Forschungsförderung bewegen?

Bulmahn: Das halte ich nicht für zutreffend. Ich habe schon eine Reihe von Beispielen genannt, wo es vor allem der Bund war, der durch seine Initiativkraft in vielen Bereichen bildungspolitisch etwas bewegt hat. Ich nenne hier beispielsweise das Ganztagsschulprogramm oder die Einführung der Juniorprofessur, die einen jahrzehntelangen Stillstand aufgebrochen haben. Aber auch die Diskussion um nationale Bildungsstandards und um eine regelmäßige Bildungsberichterstattung ist durch den Bund initiiert worden. Allerdings, wenn ich es mir als Bundesministerin einfach machen will, dann kann ich mich vielleicht auf die bloße Forschungszuständigkeit zurückziehen. Es ist aber wohl kaum die Aufgabe einer Bundesministerin, sich ein leichtes Leben zu machen. Es ist zudem ein Irrglaube anzunehmen, dass man Forschung und Lehre trennen kann, was meint: die Länder fördern die Hochschulen und der Bund die außeruniversitäre Forschung. Gute Lehre ist nur da möglich, wo gute Forschung stattfindet, und umgekehrt. Die Qualität der Lehre, das Renommee, das die Ausbildung an einer Hochschule hat, hat unmittelbare Wirkung auf den Ruf der Hochschule insgesamt.

zwd: Welche Folgen erwarten Sie für die deutsche Hochschullandschaft, falls der Bund nur noch für die Forschung zuständig sein sollte?

Bulmahn: Es werden in jedem Fall verschiedene Förderprogramme in Zukunft wegfallen, wie das Juniorprofessur-Programm oder das Heisenberg-Programm aber zum Beispiel auch das Frauenförderprogramm. Außerdem muss der derzeitig geplante Finanzierungsschlüssel für den Hochschulbau zwingend verändert werden. Es gibt da ein starkes Ungleichgewicht zugunsten der südlichen Bundesländer.

zwd: Es wird ja immer darauf hingewiesen, dass früher der Norden oder der Westen den Süden alimentiert hätten, und jetzt wolle der Süden umgekehrt nicht mehr mitmachen.

Bulmahn: Das ist auch richtig. Zwar müssen sich zum Beispiel Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen auch kritisch fragen, ob sie in den vergangenen Jahren nicht zu wenig für den Hochschulbau getan und zu wenig Hochschulbaufördermittel beantragt haben. Dagegen hat zum Beispiel Bayern über Jahre hinweg erheblich von der Hochschulbauförderung, aber auch vom Bund-Länder-Finanzausgleich profitiert. Aber nicht nur das, sondern es sind über Jahrzehnte hinweg durch die Bundesebene erhebliche Investitionen gerade auch in Bayern getätigt worden, zum Beispiel, durch Rüstungsaufträge und den Bau von Verkehrsinfrastruktur, dadurch dass dort Forschungsinstitute finanziert und angesiedelt worden sind. Das gleiche gilt in den vergangenen Jahren natürlich auch für die neuen Bundesländer. Auch hier sind erhebliche Anstrengungen mit Unterstützung des Bundes gemacht worden im Hinblick auf die Ansiedlung von Forschungsinstituten und Unternehmen und den Ausbau von Hochschulen insgesamt. Glücklicherweise haben wir inzwischen auch sehr gut ausgestattete Hochschulen in den neuen Bundesländern.

zwd: Von Ihrem Erfahrungshintergrund der sieben Jahre als Bundesministerin für Bildung und Forschung betrachtet: Was würden Sie an der Föderalismusreform unbedingt ändern wollen? Brauchen wir nicht mehr statt weniger Bundeskompetenzen?

Bulmahn: Ich sehe vor allem im Blick auf die geplanten Grundgesetzänderungen, einen zwingenden Änderungsbedarf: Erstens muss das derzeit geplante faktische Bildungsförderungsverbot für den Bund wieder aufgehoben werden, das sich aus dem neuen Artikel 104 und der Formulierung von Artikel 91b ergibt. Es geht mir dabei im Gegensatz zu dem, was einige Minister behaupten, nicht darum, die Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes zu erweitern. Sondern wir müssen sicherstellen, dass der Bund weiterhin wichtige Initiativen ergreifen kann, wie beispielsweise das Ganztagsschulprogramm. Bund und Länder müssen gewährleisten, dass die Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungssystems verbessert wird. Zynisch gesprochen, könnten nach den geplanten Regelungen Missstände festgestellt werden, aber gehandelt werden darf von Bundesseite nicht.

zwd: Also Bildungsberichterstattung statt Maßnahmenkataloge?

Bulmahn: Das meine ich.

zwd: Mit der Föderalismusreform ist außerdem geplant, dass die Länder künftig auch von den Regelungen, die beim Bund verbleiben, abweichen können.

Bulmahn: Ich erachte es für zwingend notwendig, dass die abweichende Gesetzgebung gestrichen wird. Diese abweichende Gesetzgebung ist ein wenig überspitzt gesagt nichts anderes als ein riesiges Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte. Sie führt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit. Allein für den Bereich der Umweltgesetzgebung bedeutet das, dass wir in Zukunft fünf verschiedene Gesetzesarten haben werden. Und das ist das genaue Gegenteil von Transparenz und Klarheit, wie die Zuständigkeiten zugeordnet werden. Das ist Chaos.

zwd: Dem Chaos entgegen wirken möchte die Kultusministerkonferenz, die sich jetzt in der Pflicht sieht, die deutsche Bildungslandschaft zu koordinieren. Die KMK will letztlich gewährleisten, dass eine Einheitlichkeit oder Vergleichbarkeit der Lebensumstände gegeben ist. Glauben Sie, dass sie dazu inzwischen in der Lage ist?

Bulmahn: Das wird sich zeigen. Es gibt allerdings zwei strukturelle Probleme: Erstens sind die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz nicht bindend. Jeder Minister, jedes Parlament kann ohne weiteres davon abweichen. Zweitens gibt es das Problem, dass die Kultusministerkonferenz ja nicht neu geschaffen wird, sondern seit Jahrzehnten, seit 1948 besteht. Das lässt zumindest berechtigte Zweifel zu, ob ihr in Zukunft nun gelingt, was ihr in den letzten fünfzig Jahren nicht gelungen ist. Und dann gibt es ein drittes Problem, dass nämlich die Kultusministerkonferenz über keine demokratische Legitimation verfügt. Insofern ist ja auch die Argumentation von einigen Ministerpräsidenten nicht richtig, wonach durch die Föderalismusreform die Demokratie gestärkt wird, denn dadurch erhalten nicht die Landesparlamente mehr Rechte, sondern alleine die Landesregierungen. Politisch ist das schon ein Punkt, den man zumindest beachten muss.

zwd: Als Vorsitzende des Bundestagswirtschaftsausschusses: Halten Sie das Vorgehen, nur eine Sachverständigenanhörung im federführenden Rechtsausschuss durchzuführen für angemessen?

Bulmahn: Eine derartig gravierende Verfassungsänderung bedarf einer wirklich gründlichen Beratung: Einer gründlichen fachpolitischen Beratung, und zwar des Bundestages insgesamt und nicht nur eines Ausschusses. Wir reden hier nicht über ein einfaches Gesetz. Wir reden auch nicht über Richtlinien oder Verordnungen, sondern über eine Verfassungsänderung, die eine langfristige, wirklich gravierende Auswirkung haben wird auf die Lebensverhältnisse von 80 Millionen Menschen. Die Beratung darüber darf deshalb weder zeitlich noch von den Anforderungen her beschnitten werden.

zwd: Und welchen Beitrag darf man zum Thema von ihrem Ausschuss erwarten?

Bulmahn: In den Bereichen der Wirtschaftspolitik werden wichtige Zielsetzungen oder Kompetenzen nicht beschnitten. Man darf aber nicht verkennen: Die Frage, ob es uns gelingt, die Defizite in unserem Bildungssystem zügig und konsequent zu beheben, ist eine der wichtigsten Fragen auch für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes. Deshalb ist der Wirtschaftsauschuss davon sicherlich auch berührt.