Die hannoversche Bundestagsabgeordnete Edelgard Bulmahn sprach heute im Deutschen Bundestag zum Antrag der Bundesregierung zur Verlängerung der EU-geführten Operation ATALANTA, mit der die internationale Staatengemeinschaft den Kampf gegen kriminelle Piraten vor der Küste Somalias unterstützt. Sie betonte dabei, dass die Piraterie nicht zu besiegen ist, wenn man sich allein auf militärischen Mittel konzentriert. Vielmehr muss die Bekämpfung der Ursachen stärker in den Blick genommen werden.

Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Mit der EU-geführten Operation Atalanta unterstützt die internationale Staatengemeinschaft den Kampf gegen die kriminellen Piraten vor der Küste Somalias. Die Operation – das ist für meine Fraktion und, wie ich glaube, für den ganzen Bundestag wichtig – beruht auf den Entscheidungen der internationalen Gemeinschaft, auf dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen und auf der Resolution 1816 sowie den darauf aufbauenden Resolutionen. Die europäischen Marineverbände sollen die zivile Schifffahrt schützen und dabei insbesondere den Schiffen des Welternährungsprogramms Geleitschutz geben. Die Lieferungen mit humanitären Hilfsgütern für die somalische Bevölkerung erfolgen fast ausschließlich über den Seeweg.

Die an Atalanta beteiligten Kriegsschiffe haben seit Beginn des Einsatzes sichergestellt, dass alle 86 im Auftrag des Welternährungsprogramms durchgeführten Schiffstransporte ihre somalischen Zielhäfen sicher erreichen konnten. Damit konnten fast 470 000 Tonnen Nahrungsmittel und weitere wichtige Hilfsgüter nach Somalia gebracht werden, wo bis zu 1,8 Millionen Menschen versorgt werden. Atalanta hat in den vergangenen Monaten sehr viel zur Sicherung der Seewege in dieser Region beigetragen, aber die Piraterie und die damit verbundenen Gefahren für die Seeleute sind keineswegs überwunden. Deshalb wird die SPD-Bundestagsfraktion der Verlängerung des Mandats zustimmen.

Die Zahl der Seeräuberattacken – das muss man hier im Deutschen Bundestag ausdrücklich festhalten – hat leider nicht abgenommen, sondern sie hat im letzten Jahr dramatisch zugenommen. Allein im vergangenen Jahr wurden weltweit über 406 Angriffe von Seeräubern auf zivile Schiffe verzeichnet. Die stärkste Zunahme hat es dabei im Übrigen im Golf von Aden und im Roten Meer gegeben. Gerade diese Region passieren jährlich ungefähr 20 000 zivile Schiffe. Allein im ersten Halbjahr 2010 ist es dabei zu 51 Angriffen durch Piraten gekommen, bei denen Schiffe unvermittelt mit Waffengewalt bedroht und gekapert wurden, Mannschaften monatelang als Geiseln genommen wurden und Reedereien um Millionenbeträge für Lösegelder erpresst wurden. Betroffen ist deshalb von diesen Angriffen die zivile Schifffahrt insgesamt, einschließlich der Schiffe, die Nahrungsmittel und Hilfsgüter für die notleidende somalische Bevölkerung transportieren. Um die Angriffe auf die zivilen Schiffe und die Schiffe, die die Hilfsgüter transportieren, zu verhindern, gibt es die Operation Atalanta. Deshalb möchte ich an dieser Stelle den Bundeswehrsoldaten für diese schwierige Aufgabe, die sie tagtäglich meistern müssen, ebenfalls meinen ausdrücklichen Dank auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen aussprechen.

Wir sind uns durchaus der Tatsache bewusst, dass wir die Piraterie nicht besiegen werden, wenn wir uns auf die militärischen Mittel allein konzentrieren. Wir müssen viel stärker die Bekämpfung der Ursachen in den Blick nehmen. Der Kampf gegen Piraterie wird nur erfolgreich sein, wenn er Hand in Hand mit der Bekämpfung der Armut in Somalia, der Sicherung von Menschenrechten und dem Aufbau funktionsfähiger staatlicher Strukturen einschließlich der Sicherheitsstrukturen geht. Militärisches Engagement – das gilt insbesondere für meine Fraktion – kann kein Ersatz für Staatlichkeit und für eine friedliche Entwicklung Somalias sein und ist es auch nicht. Deshalb sind die Beteiligung Deutschlands an dem Programm der internationalen Gemeinschaft zum Wiederaufbau staatlicher Strukturen und an der Finanzierung von AMISOM zur Ausbildung von Ausbildern und Mentoren für die somalische Polizei ebenso wie die Fortsetzung der humanitären Hilfe unverzichtbar.

Seit mehr als 20 Jahren ist Somalia ein Staat ohne handlungsfähige Zentralregierung. Während inzwischen in Somaliland stabile Verhältnisse herrschen, führen im Süden Konflikte zwischen den verschiedenen Klans immer wieder zu Gewalt, zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, zu Verfolgung und zu massiven Flüchtlingsströmen. Millionen von Menschen leiden unter Hunger und sind auf die Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Die Transitional Federal Government, die international anerkannte Übergangsregierung – sie ist der einzige Ansprechpartner der Staatengemeinschaft –, ist politisch und militärisch nicht in der Lage, mehr als wenige Straßenzüge in Mogadischu zu kontrollieren. Auch das gelingt im Übrigen nur mit Unterstützung der Afrikanischen Union in Somalia, AMISOM.
Deutschland, der Europäischen Union, ja, der internationalen Staatengemeinschaft insgesamt fehlt es an einem kohärenten Gesamtkonzept für Somalia – ich glaube, das müssen wir selbstkritisch festhalten –, an einem Konzept, das erreichbare Ziele beschreibt. Es geht um eine kohärente Strategie, die eine Perspektive für eine eigenständige Entwicklung Somalias aufzeigt. Ich bin davon überzeugt, dass nur ein solch umfassender Ansatz dazu führen kann, dass die Menschen in diesem Land endlich wieder eine Perspektive erhalten. Deshalb müssen wir Atalanta auch als eine Mission verstehen, die die humanitäre Hilfe absichert und die Aufmerksamkeit immer wieder auf Somalia lenkt. Es ist eine Mission für umfassendere und langfristige Programme zur Entwicklung und zum Staatsaufbau dieses Landes.

Damit das gelingen kann, müssen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten Somalia vor allem durch humanitäre Hilfe und bei der Schaffung und Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit stärker unterstützen. Nur durch den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und die Unterstützung dabei können die Verantwortlichen in Somalia selbst in die Lage versetzt werden, stärker gegen die Piraterie sowie gegen die Instabilitäten und gegen die Gewalt in ihrem Lande vorzugehen.

Herr Minister, wenn Sie in Ihrer Rede die Bedeutung eines vernetzten Ansatzes und die Bedeutung der zivilen Unterstützung, der zivilen Aufbaumaßnahmen, die wir in diesem Land durchführen müssen, herausstellen, dann stimme ich Ihnen zu. Ich sage Ihnen aber ausdrücklich, dass Ihre Aussage nicht glaubwürdig ist, wenn Sie am gleichen Tag, heute, in diesem Parlament gemeinsam mit den Regierungsfraktionen eine Kürzung der Ansätze für zivile Krisenprävention und für humanitäre Maßnahmen in einem derartigen Umfang durchführen. Das ist keine glaubwürdige Politik. Das gilt auch für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen. Wenn wir hier eine glaubwürdige Politik vertreten wollen – das muss der Anspruch des gesamten Parlamentes sein –, dann müssen Sie diese Kürzungen zurücknehmen. Denn es ist nicht vereinbar, auf der einen Seite die Bedeutung dieser Maßnahmen zu unterstreichen und auf der anderen Seite die Grundlage für die Umsetzung dieser Maßnahmen zu zerstören.

Ich sage Ihnen ausdrücklich: Dafür hat niemand Verständnis. Die Debatte darüber wird mit dem heutigen Tag nicht beendet sein. Wir müssen in Deutschland die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir unsere wichtigen Aufgaben weiterhin erfüllen können. Das ist eine ganz wichtige Errungenschaft hier in Deutschland, zu der viele Parlamentarier einen Beitrag geleistet haben. Wir haben kein Verständnis dafür, wenn zu verhindern versucht wird, dass hier die Grundlage für politisches Handeln, für zivile Krisenprävention, für die wichtigen zivilen Aufbaumaßnahmen, die ergriffen werden müssen, geschaffen wird.

Ich sage zum Schluss noch einmal: Ja, wir brauchen eine Verlängerung dieser Operation. Aber wir brauchen eben auch die Grundlagen dafür, dass die zivilen Maßnahmen nicht nur in Sonntagsreden unterstrichen, sondern auch konkret durchgeführt werden.

Vielen Dank.

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